Die große Kunst des Witzigseins
43:52 Minuten
Kann man lernen, lustig zu sein? Ein Besuch bei einem mehrtägigen Comedy-Workshop soll diese Frage klären. Und wir erfahren, was Menschen auf die Bühne treibt.
"Handwerk Comedy", so hat Renate Coch ihr Seminar genannt, mit dem sie sich an Einsteigerinnen und Einsteiger wendet. Danach gefragt, ob man Humor lernen kann, antwortet sie: "Es ist richtig wichtig, dass man schon irgendwie die so genannten ‚Funny Bones‘ mitbringt. Das heißt: Eine komische Ader hat und eine Liebe zur Komik." Aber auch ein Naturtalent braucht theoretisches Wissen, um professionell aufzutreten: "Es gibt eine Menge von Technik, zum Beispiel Gagstrukturen oder der Aufbau einer komischen Nummer. Das kannst du richtig lernen, das ist Handwerk."
Die Motivationen sind breit gefächert
Zehn Teilnehmende, Mikrokosmos-Autor Jakob Schmidt mit eingerechnet, sind an diesem Wochenende gekommen. Die Motive fürs Mitmachen sind so vielfältig wie die Menschen selbst, die in einem großen Stuhlkreis zusammensitzen und gespannt auf den Seminarbeginn warten. Manche wollen herausfinden, ob in ihnen verborgene Talente schlummern. Andere möchten an ihrem Selbstbewusstsein arbeiten und wieder andere träumen von der großen Karriere und wünschen sich Rückmeldung für den nächsten Bühnenauftritt.
Berufsschullehrerin Eva, erzählt von Diskriminierungserfahrungen wegen ihres Migrationshintergrundes. Humor, glaubt sie, kann ihr helfen, besser damit umzugehen: "Ich merke, dass das unheimlich befreiend sein kann, wenn man miteinander lacht – und nicht übereinander." Am Seminar nimmt sie auch teil, um für sich zu klären, ob sie sich auf einer Comedy-Bühne wohlfühlen könnte. Das Wochenende soll bei der Entscheidung helfen, ob sie sich einen Auftritt vor Publikum zutraut. Andreas, Leiter eines Ordnungsamtes, hat oft mit dem Frust aus der Bevölkerung zu kämpfen: "Da muss man oft den Rampenfiffi machen und die Leute bei Laune halten. Gerade, wenn ernste Themen anstehen wie jetzt diese blöde scheiß Corona-Pandemie."
Humor hilft beim Verarbeiten negativer Gefühle
"Humor ist Wahrheit und Schmerz", betont Seminarleiterin Renate Coch. "Es sind nicht immer die Themen, die einen sowieso schon zum Lachen bringen, die dann auf der Bühne funktionieren. Sondern es sind die Sachen, die einen nerven, aufregen, ankotzen. Diese Energie braucht man als Sprengkraft für den Witz!" In Schreibübungen sollen die Teilnehmenden sich frustrierende Erfahrungen von der Seele schreiben. Daraus entstehen unterhaltsame Szenenskizzen über die Lebensgefahr beim Radfahren im Großstadtverkehr, über den Umgang mit sadistischen Vorgesetzten im eigenen Beruf oder, wie bei Eva, über die täglichen Herausforderungen an einer Berufsschule.
Persönliche Erfahrungen machen unverwechselbar
Workshopleiterin Coch ist es wichtig, dass es persönliche und ganz individuelle Erfahrungen sind, die dabei verarbeitet werden: "Denn wenn du die zehnte McDonalds-Nummer gesehen hast, denkst du dir: Der Text, den manche machen ist austauschbar. Jeder andere könnte den Text sprechen." Das Seminar soll aber helfen, eine ganz eigene, unverwechselbare Stimme zu finden.
Wer wirklich seinen Weg geht, vielleicht sogar mit einer Karriere auf der Bühne, habe sie dabei immer wieder überrascht, sagt Renate Coch. Es seien längst nicht immer die selbstbewussten und extrovertierten Menschen. "Da kommen manchmal ganz, ganz schüchterne Leute an und die drehen dann auf der Bühne derartig ab, wo das niemand jemals gedacht hätte."
Vom Seminar auf die Bühne
"Nach dem Auftritt ist vor dem Auftritt", gibt Renate Coch der Gruppe noch mit, dann ist das Seminar nach insgesamt vierzehn intensiven Workshopstunden am Sonntagabend zu Ende. Und tatsächlich spielen zwei der Teilnehmenden jetzt mit dem Gedanken, den Schritt auf die Bühne zu machen. Unter ihnen ist Eva, die Berufsschullehrerin. Nach dem Seminar entscheidet sie sich für einen Auftritt bei einem "Open Mic" in Köln. Das ist eine offene Bühne, bei der sich Interessierte anmelden und vor einem fremden Publikum ins kalte Wasser springen können – egal wie viel Vorerfahrung sie mitbringen. Renate Coch hat ihr geraten, so nah bei sich selbst zu bleiben wie möglich. Statt vom Berufsschulalltag zu erzählen entscheidet Eva deshalb, ihre eigene sehr persönliche Geschichte zu verarbeiten. Ihre Erinnerungen an ihr Aufwachsen als Kind nichtdeutscher Eltern in der deutschen Provinz: "Ich habe da unfreiwillig im negativen Rampenlicht gestanden. Immer mit Angst und dem Gefühl, ich bin falsch. Und jetzt nehme ich mir die Bühne, sodass ich jetzt die Kontrolle habe. Und das ist ein befreiendes Gefühl."
Humor in der Wissenschaft
Die therapeutische Wirkung von Humor ist auch Forschungsgegenstand in der Wissenschaft. Die Psychiaterin und Neurologin Barbara Wild gilt als eine der Vorreiterinnen der deutschen Humorforschung. Bei ihrer Arbeit mit psychisch Erkrankten setzt sie Humor oft als zusätzliche Behandlungsmethode ein, dabei hat sie Interesse an der Frage entdeckt, welchen Zweck Humor in unserer Gesellschaft erfüllt.
"Man braucht erstaunlich viele Teile des Gehirns, selbst für ganz blöde, einfache Witze. Es gibt nicht das eine ‚Humorzentrum‘", erzählt sie. "Das hatten wir am Anfang gedacht. Ende der 90er Jahre war man auf der Suche nach Zentren für alles Mögliche. Dass im Gehirn so viele Gebiete aktiviert sind, ist für mich auch ein Zeichen dafür, dass es tatsächlich eine sehr komplexe Fähigkeit ist."
Und auch wenn uns das gemeinsame Lachen näher zusammenbringen kann, wundert es Barbara Wild nicht, dass es momentan so viele Diskussionen darüber gibt, worüber man sich lustig machen darf: "Humorprofis leben ja davon, dass es Menschen gibt, die über dieselben Dinge lachen oder sich über dieselben Dinge ärgern und es deshalb gut finden, wenn darüber Witze gemacht werden. Aber das beinhaltet ja schon, dass es andere Teile der Gesellschaft gibt, die das nicht so gut finden."
Erstsendedatum 6.11.2021