Faszination Nachtigall
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Eine bunt gemischte Gruppe von Künstlern, Wissenschaftlerinnen und Bürgern pirscht nachts durch die Berliner Parks. Sie sind auf der Suche nach der Nachtigall - und wollen ihren Gesang erforschen, ihre Kulturgeschichte kennenlernen und den faszinierenden Vogel in Kunstwerken verewigen.
Ende April 2019 im Berliner Museum für Naturkunde: Es herrscht großer Rummel. Nachtigallenstimmen vom Band umschwirren das Skelett des Brachiosaurus. Er ist ein riesiger Vorfahre der Nachtigall, auf den der Generaldirektor Johannes Vogel ebenso stolz ist wie auf das Nachtigallen-Projekt, das seit 2018 in seinem Haus angesiedelt ist.
"Forschungsfall Nachtigall" basiert auf der Idee von Sarah Darwin. Die Ur-Urenkelin des berühmten Naturwissenschaftlers Charles Darwin. Sie selbst ist Botanikerin und Künstlerin. Es ist ihr Herzensprojekt, die Naturwissenschaft mit der Kunst zu verschränken und Datenerhebung gemeinsam von Expertinnen und Bürgern durchführen zu lassen.
Ein interdisziplinäres Projekt
An Ständen informieren sich Besucher und Besucherinnen bei der "NachtiGala" im Naturkundemuseum über die vielen Aspekte des Bürgerforschendenprojekts. Geschichten über die Nachtigall werden erzählt, Exkursionserfahrungen ausgetauscht. Oder man hört Beispiele aus dem Fundus der über 5000 Nachtigallengesänge, die mithilfe der App "Naturblick" aufgenommen wurden. All diese Aktionen haben als gemeinsames Ziel die Beantwortung von drei Fragen:
- Wo in Deutschland gefällt es der Nachtigall am besten?
- Gibt es regionale Unterschiede in ihrem Gesang?
- Wie vielfältig ist die kulturelle Beschäftigung mit dem Vogel?
Reise und Ankunft der Nachtigallen
Im Gespräch erzählt Sarah Darwin, dass mehr als tausend Nachtigallen-Männchen im Frühling aus Ghana nach Berlin kommen. Dort suchen sie sich einen passenden Platz und singen in die Nacht. Sie bringen sich in Stellung, um eines der vielen Weibchen anzulocken, die eine Woche nach ihnen einfliegen und am Gesang des Männchens erkennen, ob es zur Paarung und Brutpflege taugt.
Berlin ist deshalb bei den Nachtigallen so beliebt, weil es in der Stadt noch viele "unaufgeräumte" Ecken gibt. Die Bodenbrüter lieben Gestrüpp und dichte Hecken, in denen sie sich verstecken können.
Inspiration vom Vogel
Szenenwechsel. Es ist sehr kühl an diesem Maiabend im Berliner Park Friedrichshain. Dennoch wird ein Picknick angerichtet, werden Weinflaschen entkorkt und Kerzen aufgestellt. Sarah Darwin begrüßt eine bunt gemischte Gruppe: "Wir feiern hier in Berlin den herrlichen Vogel, die Nachtigall. Es ist eine Feier und gleichzeitig Ausdruck der Hoffnung, dass es den Menschen gelingen möge, im Einklang mit der Natur zu leben".
Die Amerikanerin Erin Doyle ist Lehrerin an der Metropolitan School in Berlin und ganz angetan von diesem Projekt. Sie liest ihr selbst verfasstes Gedicht "Musician of Nature" – "Musikant der Natur" vor und erzählt, dass ihr erst durch das Projekt bewusst geworden sei, wie besonders die vielen Nachtigallen in Berlin sind.
Wie sich Wissenschaft und Kunst gegenseitig inspirieren zeigt der Performance-Künstler Mark Rothenberg. Er trägt eine wissenschaftliche Beschreibung des Nachtigallenrufs aus dem 18. Jahrhundert vor und macht daraus ein dadaistisches Lautgedicht.
Der Verhaltensbiologe Marc Naguib, der zur Kommunikation der Nachtigallen geforscht hat, findet Inspiration für seine Forschung in der Zusammenarbeit mit Rothenberg. Er holt den Künstler aber auch auf den Boden der Tatsachen, wenn dieser behauptet, die Nachtigallen würden auf seine Performances reagieren: "Es ist ja komplizierter Gesang. Wenn Tiere miteinander interagieren, dann ist das nicht so, dass die miteinander eine halbe Stunde lang reden, sondern dann redet man mal kurz mit dem, dann wieder mit dem. Und das zu erfassen - den Moment – das ist nicht so einfach."
Bis spät in die Nacht lauschen die Picknickgäste den Gesängen der Nachtigallen, unterhalten sich angeregt und erfreuen sich an der live vorgetragenen Musik.
Das Staunen in die Wissenschaft zurückbringen
Auch Bergit Arends, Kuratorin an der Tate Gallery in London, beschäftigt sich intensiv mit der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst. Im Gespräch erklärt sie, wie wichtig die vermittelnde Rolle der Kuratorin dabei ist, die auch immer einen Blick auf die Historie hat. Auch wenn es momentan zwar sehr viele interdisziplinäre Projekte gebe, sei dies nämlich keinesfalls ein Phänomen neuerer Zeiten, betont sie.
Sie ist sich sicher, dass es wichtig ist, durch den Dialog von Kunst, Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft, die toten Objekte der Museen den Menschen näher zu bringen und damit auch das Verständnis für unsere Umwelt zu erweitern.