In Mexiko herrschen kriminelle Kartelle über Zivilbevölkerung, Polizei und Justiz. Menschen verschwinden, werden ermordet, ihre Körper nie gefunden. Angehörige machen sich auf die Suche. Ein Hörspiel aus Interviews und Augenzeugenberichten.
„Campo“ bedeutet Feld, Gelände, Land, aber auch: Schlachtfeld – oder Acker. So vieldeutig ist Mexiko: „ein fruchtbares Land. In Mexiko sät man Körper.“ Las Rastreadoras, die Spurensucherinnen, sind eine Gruppe von Frauen, die Angehörige verloren haben. Sie verschwanden. Der Sohn, die Tochter, der Mann, der Vater. Entführt, gefoltert, getötet, verscharrt. Irgendwo. Wie sollen sie Abschied nehmen, trauern? Alleingelassen von einer schlecht ausgestatteten und korrupten Polizei und Justiz, bedroht von mächtigen Kriminellen der Drogenkartelle, machen sie sich selbst auf die Suche. Mit Schaufel und Hacke graben sie nach den Knochen ihrer Liebsten. Die Autorin hat an Suchaktionen teilgenommen, mit Hinterbliebenen, Polizistinnen und Rechtsmedizinerinnen gesprochen, und fragt sich zugleich, warum sie das alles aufnehmen muss und wer ihr überhaupt das Recht gibt, darüber zu sprechen.
Die Deutsche Akdademie der Darstellenden Künste hat das Hörspiel "Campo" zum Hörspiel des Monats Juli 2022 gekürt.
Die Begründung der Jury:
„Ich werde dich suchen, bis ich dich gefunden habe.“ So lautet das Motto einer Gruppe von mexikanischen Spurensucherinnen, den sogenannten „Rastreadores“, die mit einfachsten Mitteln nach ihren vermissten, entführten, ermordeten und schließlich verscharrten Angehörigen suchen. Weit mehr als 70.000 Menschen sind in Mexiko bisher Opfer von menschenverachtender Kriminalität geworden – vor allem durch die Mitglieder konkurrierender Drogenkartelle. Die zumeist weiblichen Hinterbliebenen kämpfen darum, ihre Angehörigen bzw. deren sterbliche Überreste wiederzufinden, werden dabei jedoch von einerseits überforderten, andererseits korrupten, in vielen Fällen jedoch untätigen Ermittlungsbehörden nicht ernsthaft bzw. gar nicht unterstützt.
Das dokumentarische Hörspiel „Campo“ (dt. Feld) der mexikanischen PerformanceKünstlerin, Journalistin, Autorin und Regisseurin Laura Uribe (Übersetzung aus dem mexikanischen Spanisch: Franziska Muche) berichtet in sachlicher, aber niemals distanzierter Art und Weise sowie stellvertretend für die vielen erschütternden Einzelschicksale vom Kampf jener Frauen auf der Suche nach ihren Angehörigen.
Dem von Friederike Wigger inszenierten Hörspiel „Campo“ gelingt es in herausragender Weise, trotz aller Konkretheit, Drastik und Grausamkeit der Schilderungen, die Balance zu halten zwischen allzu großem Pathos und allzu lauter Anklage: eine Gefahr, die bei einer solchen Thematik gerade auch deswegen besteht, da sich die Autorin auf Originalmaterial, auf Augenzeugenberichte sowie auf eine eigene filmische Recherche bei einer der zahlreichen sogenannten „Suchbrigaden“ stützt.
Bemerkenswert ist im Stück darüber hinaus, dass Laura Uribe mehrfach ihre eigene Position reflektiert, etwa: „Ich habe mich gefragt, wie ich es verdammt nochmal hinkriegen sollte, dass deutsche Schauspieler diese Texte sprechen? Sie haben doch keinen Schimmer, was es heißt, nach Leichen zu suchen. […] Und ich denke, wer hat hier das Recht, wen zu spielen? Was gibt einem das Recht, über etwas zu sprechen?“ Oder an anderer Stelle: „Ich gehe als Dokumentaristin zur Brigade, und als solidarische Helferin […] Im Grunde wusste ich nicht so recht, warum ich hinging. Für einen Text nach Leichen zu suchen, fand ich seltsam. Ich verurteilte es nicht. Es war nur seltsam.“ Es ist zum einen möglicherweise die besondere Schwere jener Verbrechen, die nicht verschwiegen werden darf, sowie zum anderen die Beharrlichkeit der Protagonistinnen in ihrem verzweifelten Kampf, ihren Angehörigen ein letztlich würdevolles Begräbnis zu ermöglichen und sich von ihnen verabschieden zu können. Gründe genug jedenfalls, die dafür sprechen, jene auf Tatsachen beruhenden Geschichten zu erzählen.
Die vom überzeugenden Schauspielensemble eingesprochenen Texte und re-inszenierten O-Töne halten ebenso wie der Text und das Stück insgesamt die Balance zwischen einfühlsamer und eindringlicher Nähe und nüchtern-kühl in Szene gesetzter Distanz zu den Protagonistinnen. Das Dokumentar-Hörspiel „Campo“ von Laura Uribe beeindruckt in ganzer Linie und wird daher zum Hörspiel des Monats Juli gekürt.
Produktionsfotos
Regisseurin Friederike Wigger und Jule Böwe (v.lks.).
Doku-Hörspiel: Suche nach verscharrten Toten Campo Von Laura Uribe Übersetzung aus dem mexikanischen Spanisch: Franziska Muche Regie: Friederike Wigger Mit: Marina Galic, Jule Böwe, Nuri Singer, Jenny Schily, Lisa Hrdina, Stephanie Eidt, Lena Stolze, Marina Frenk, Anastasia Gubareva, Manuel Harder, Abak Safaei-Rad Komposition: Achim Zepezauer Ton und Technik: Thomas Monnerjahn und Susanne Beyer Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2022 Länge: 56'00
Eine Wiederholung vom 27.07.2022
Laura Uribe, geboren 1984 in Mexiko, ist Performance-Künstlerin, Journalistin, Autorin und Regisseurin. Ihre Arbeiten sind politisch geprägt und haben oftmals dokumentarischen Charakter. Ihre Inszenierung „Mare Nostrum“ war als Gastspiel auf vielen europäischen Bühnen zu sehen. „Campo“ entstand im Rahmen des internationalen Dramatiker:innenlabors„Out of Sight“, einem Kooperationsprojekt des Literarischen Colloquiums Berlin (LCB), des Maxim Gorki Theaters /StudioЯ, des Neuen Instituts für Dramatisches Schreiben (NIDS), der Robert Bosch Stiftung und des Schauspiel Stuttgart, das sich mit dem Thema „Verschwinden“ befasste.