CTM Radio Lab: Hörstück über Störsender

Altered State Solution

56:50 Minuten
Störsender als Ausstellungsstück im Berliner Funkhaus.
Störsender als Ausstellungsstück im Berliner Funkhaus. © Deutschlandradio / Bettina Straub
Von Dani Gal und Ghazi Barakat |
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• Sound Art • Sie lieferten den Soundtrack zum Kalten Krieg: Störsender überlagerten viele unliebsame Radioprogramme entlang des Eisernen Vorhangs. Ihre Klänge und Geschichten haben die Künstler Dani Gal und Ghazi Barakat zu einem Hörstück verarbeitet.
„Eine freie Stimme der freien Welt“ wollte er sein: der Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS). Im russischen Sektor war diese Stimme wenig willkommen und wurde deshalb von Störsendern überlagert. So erging es vielen Radioprogrammen entlang des Eisernen Vorhangs. Dabei entfalteten die Störsender ihre eigene Klangästhetik und Botschaft. Das Künstlerduo Dani Gal und Ghazi Barakat macht den Lärm im Äther zum Ausgangspunkt eines Hörstücks über Information und deren Scheitern.

Altered State Solution
Von Dani Gal und Ghazi Barakat
Produktion: Deutschlandfunk Kultur/CTM Festival/Goethe-Institut/ORF 2019
Länge: 56'28
Eine Wiederholung vom 27.03.2020

Konzertmitschnitt vom CTM Festival Berlin
30. Januar 2020, HAU2
Länge: 56'46

Dani Gal, geboren 1975 in Jerusalem, lebt und arbeitet als Künstler in Berlin. Er studierte an der Bezalel-Akademie für Kunst und Design in Jerusalem, der Städelschule in Frankfurt und der Cooper Union in New York. Seine Filme und Installationen wurden weltweit gezeigt, u.a. bei der 54. Kunstbiennale in Venedig, der Istanbul Biennale, beim Forum Expanded der Berlinale und im Centre Pompidou. Für die documenta 14 und Deutschlandfunk Kultur produzierte er gemeinsam mit Achmi Lengerer die Sendung „different time different place different pitch“ im künstlerischen Radioprogramm SAVVY Funk.

Ghazi Barakat, geboren 1965 in Frankfurt am Main, ist ein deutsch-palästinensischer Klangkünstler, Komponist und Interpret. 1988–2007 war er Sänger und Produzent in verschiedenen Berliner Rock- und Popformationen (u.a. Boy from Brazil und Stereo Total). Seit 2011 veröffentlicht er experimentelle Musik unter dem Namen Pharoah Chromium.

Ghazi Barakat
Ghazi Barakat© Foto: Rahel Preisser

Störung als Kunst

Das Künstler-Duo Dani Gal und Ghazi Barakat über "Altered State Solution"
Filmemacher Dani Gal und Musiker Ghazi Barakat bringen das Störgeräusch zurück ins deutsche Radio. In ihrem Originalhörspiel "Altered State Solution" arbeiten sie mit Klängen, die sich durch Hörfeindlichkeit definieren, und machen sie zu Klangkunst. Im Interview gibt das Künstler-Duo Einblick in den Entstehungsprozess und spricht darüber, wie es ist, wenn Künstler mit israelischen und palästinensischen Wurzeln zusammenarbeiten.
Deutschlandfunk Kultur: "Altered State Solution" ist zum Großteil eine Komposition aus historischen Störgeräuschen – Tonaufnahmen, die zur Zeit des Kalten Kriegs entstanden sind, als die Sowjetunion nicht-regimetreue Radiosender gestört, überlagert und abgelenkt hat. Wie entstand der Gedanke, Radiokunst aus unerwünschten Geräuschen zu machen?
Dani Gal: Radio Noise, also Rauschen, Störgeräusche, das sind Mittel, die eigentlich nicht erwünscht sind. Dieses Nicht-Erwünscht-Sein, das lässt sich auch übertragen – auf politische Strömungen oder Personen. Störgeräusche haben diese politische Dimension, die mich interessiert. Ich habe für das Stück mit dem pensionierten Radio-Journalisten Rimantas Playkis aus Vilnius zusammengearbeitet. Das dabei entstandene Interview mit ihm ist auch in "Altered State Solution" zu hören. Hinter dem eisernen Vorhang hat er miterlebt, wie die Sowjetunion nicht-regimetreue Sender gestört hat. Bis 1988 wurde das dort praktiziert. Jahre später hat Playkis angefangen, Material zu sammeln – Aufnahmen aus dieser Zeit. Anhand dieser vielen Töne haben wir erkannt: So ein Störgeräusch, das ist ein kreativer Ton, das hat eine eigene Dynamik. Da ist so ein liminales Moment, das die Störung zum künstlerischen Element macht.
Ghazi Barakat: Dani und ich haben 2018 erstmals zusammengearbeitet, ich habe für seinen Film "White City" den Soundtrack gemacht. Damals haben wir uns gut verstanden und es entstand der Plan, nochmal gemeinsam Musik zu produzieren. Zu Störgeräuschen hat Dani bereits auf der documenta 14 gearbeitet, das fand ich interessant. Das passt zu meiner Art, an Musik heranzugehen. Ob populär oder unpopulär, easy oder uneasy – der störende Faktor interessiert mich. Das erste Mal als die Leute Rock ’n Roll, Elvis oder Little Richard gehört haben, da konnten sie das auch nicht von Störgeräuschen unterscheiden. Manchmal höre ich mir Sachen an, die vor 30 Jahren als totaler Krach galten und mittlerweile laufen die in Clubs und die Leute tanzen dazu. Ich glaube, dass viele unmusikalische Elemente mit der Zeit auch von einer breiteren Masse als musikalisch akzeptiert werden.
Deutschlandfunk Kultur: Störgeräusche haben also eine musikalische Ästhetik?
Ghazi Barakat: Ja, so kann man das sagen. Ich sehe da überhaupt keinen Widerspruch zu Musik.
Deutschlandfunk Kultur: Dani Gal, Sie arbeiten hauptsächlich als Filmemacher. Eine Ihrer zentralen Arbeiten ist aber das ‚Historical Record Archive’ – eine Sammlung von über 700 LPs mit politischen Reden, Interviews und Radiosendungen aus den letzten hundert Jahren. Was übermittelt Audio für Sie, was Bild oder Text nicht erzählt?
Dani Gal: Ich finde die Dokumentation von historischen Ereignissen im Auditiven hat eine besondere Qualität. Im Gegensatz zu einem Text übermittelt ein Audio nicht nur die Sprache, sondern ein Stück Zeitgeschichte mit all seinen Hintergrundgeräuschen. So etwas wie Störgeräusche wären in einem anderen Medium gar nicht darstellbar. Im Auditiven sind es oft die scheinbar beiläufigen Momente, die festgehalten werden, nicht die vermeintlich großen Bilder wie im Fernsehen. Für mich ist es gerade interessant, wenn Geräusche und Stimmen aus dem Alltag zu hören sind – fernab von offizieller Dokumentation. Mich faszinieren die Blind Spots der Geschichte. Das ist auch der Raum der Kunst. Dort, wo Dokumentation aufhört, kann ich künstlerisch ansetzen.
Deutschlandfunk Kultur: Mit der Zeitgeschichte berühren Sie auch die Sphäre der Politik. Muss Kunst für Sie politisch sein?
Dani Gal: Das ist schwer zu beantworten. Nein, ich denke nicht zwingend. Aber eine unpolitische Kunst ist für mich schwer denkbar. Ich denke, Kunst bewegt sich zumindest immer in der politischen Sphäre, auch wenn Kunst nicht unbedingt eine deutliche Position beziehen muss. Aber klar, Gedächtnis, Kultur und somit auch Kunst sind immer geprägt von dem Staat, in dem man aufgewachsen ist. Das ist auch mit meiner Herkunft so, ich komme aus Israel.
Ghazi Barakat: Wir haben alle eine gewisse geschichtliche oder kulturelle Herkunft. Es gibt keine unbeschriebenen Blätter. Ich denke, schon ein Dreijähriger ist von irgendetwas beeinflusst – von Sinneseindrücken oder von der Liebe, die er erfahren hat, oder eben auch von den politischen Umständen. Ich habe z.B. im Alter von einem Jahr den Sechs-Tage-Krieg in Jerusalem erlebt. Nun, ich glaube schon, dass das meine Arbeit prägt, mich und meine Ansicht geformt hat. Wegen Danis und meiner Herkunft hatte ich auch ein besonderes Interesse, mit ihm zu arbeiten. Also, weil ich Palästinenser bin und er Israeli. Uns geht es letztendlich um Dialog, gar nicht auf einer politischen Ebene. Ich finde es gut, wenn ein israelischer und ein palästinensischer Künstler schon mal testen, wie so ein Dialog funktioniert, indem sie Projekte zusammen machen. Der Unterschied in unserer künstlerischen Arbeit ist, dass ich mich mehr positioniere.
Deutschlandfunk Kultur: In "Altered State Solution" existieren zwei Elemente nebeneinander: Die atmosphärisch-musikalische Komposition aus Störgeräuschen und das Interview mit dem Radiohistoriker Rimantas Playkis. Inwiefern spielen diese zusammen?
Dani Gal: Wir wollten das nicht trennen in Klang einerseits und Interview andererseits. Die akustischen Materialien, die wir zur Verfügung hatten, stehen eher miteinander in Dialog. Als Basis hatten wir die Aussagen von Rimantas und seine historische Expertise, außerdem historisches Tonmaterial, welches er über Jahrzehnte gesammelt hat. Und dann haben wir noch Aufnahmen von meiner motorisierten Gitarre, die auch beim CTM-Festival im Einsatz war. Ghazi hat diese Sounds zu einer Komposition abgemischt.
Ghazi Barakat: Das Interview mit Rimantas hatte Dani schon zwei Jahre zuvor geführt. Störgeräusche und historische Aufnahmen, das ist seine Spezialität. Ich habe mich hauptsächlich um die Produktion gekümmert und darum, aus dem bestehenden Material etwas rauszuhören, worauf man aufbauen kann. Ich hatte das Interview von Rimantas und habe versucht, die Schlüsselstellen zu finden. Rimantas ist jemand, der sich mit dem Thema Störsender wirklich obsessiv beschäftigt hat. Aus seiner Obsession wollten wir auch versuchen, Kunst zu machen, wenn man das so nennen kann.
Deutschlandfunk Kultur: Wie haben Sie das beim Komponieren umgesetzt?
Ghazi Barakat: Beim Komponieren ging es mir darum, die Verbindung zu finden zwischen den Sounds, die Dani mit seinen Motoren, den Gitarren und den Radiosignalen schon produziert hatte und den Geräuschen, die wir von Rimantas zur Verfügung gestellt bekommen haben. Aber auch das hat wieder Bezüge zu den Aussagen von Rimantas. Das Ziel war, aus den drei Komponenten am Ende so etwas wie Musik zu machen, bzw. etwas zu produzieren, das anhörbar ist, obwohl es auf Geräuschen basiert, die ursprünglich ein Anhören unerträglich machen sollten.
Deutschlandfunk Kultur: "Altered State Solution" – in diesem Titel schwingt ja einiges mit. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Ghazi Barakat: Ich habe als Musiker immer die Tendenz, Titel, Worte oder Ausdrücke zu unterlaufen. Mit "Altered State Solution" spielen wir auf die "One State Solution" an, eines der Konzepte zur Lösung des Nah-Ost-Konflikts. "Altered States", das sind veränderte Bewusstseinszustände unter Einfluss von psychedelischen Drogen. Und Solution meint ja auch eine Lösung im chemikalischen Sinn, das kann ja auch eine Flüssigkeit sein aus mehreren Komponenten, eine Mischung, ein Kompromiss. Der Titel ist also ein Konglomerat, das mit Humor und Ironie ein ernstes Thema aufgreift. Es ging uns darum, dass man ein wenig Abstand zeigt von der Ernsthaftigkeit gewisser Probleme, von der Schwere politischer, religiöser oder wie auch immer motivierter Konflikte.
Das Gespräch für Deutschlandfunk Kultur führte Sarah Fischbacher.
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Der Künstler Dani Gal bedient ein speziell entwickeltes Instrument aus E-Gitarre, Elektromotoren und Radiogerät© CTM 2020/Udo Siegfriedt
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