Mit Hörspielen spielen
11:11 Minuten
Das Spiel steckt im Wort "Hörspiel", aber ist das die einzige Verbindung? Martin Stengel erkundet - im Gespräch mit Hörspielautoren, Spiele- und Radioredakteuren - das schon lange bestehende Zusammenspiel des Genres mit Brett- und anderen Spielen.
Ich habe das Hörspiel einmal wörtlich genommen und mich gefragt, was haben Hörspiele eigentlich mit Spielen zu tun? Schnell stelle ich fest, dass es schon lange eine Verbindung von Hörspielen mit Brettspielen und anderen Formen von Spielen gibt, wie Hörspielautor Joachim Ziebe bestätigt:
Joachim Ziebe: "Es gab mal diesen Trend, Ende der achtziger, Anfang der neunziger. Da wurden einige Brettspielvorlagen in Hörspiele umgewandelt. So neben der Mitternachtsparty gab es zum Beispiel noch das Spiel Scotland Yard, Heimlich und Co. und beispielsweise fällt mir noch ein: Das verrückte Labyrinth."
Joachim Ziebe ist Brettspielfan und hat zum 30. Geburtstag des Spiels "Hugo - das Schlossgespenst" die dazugehörige Hörspielreihe aus den Achtzigern wieder aufleben lassen. Sie erzählt augenzwinkernd die Geschichte, wie das ursprüngliche Brettspiel entstanden ist.
Ausschnitt Hörspielreihe:
"Buh"
"Ich werd’ verrückt. Das Gespenst. ich muss mich verstecken."
"Aber nicht doch, nicht doch Herr Kramer. Hugo wird ihnen nichts tun."
"Das überlege ich mir noch."
"Hugo, das ist Wolfgang Kramer. Er ist Spieleerfinder."
"Hallo Hugo. Wer hätte gedacht, dass ich einmal einem echten Schlossgespenst gegenüberstehen würde."
"Hallo Wolfgang. Tja, wer hätte gedacht, dass ich mal einem echten Spieleentwickler gegenüberschweben würde."
"An jenem Abend lernte ich also Hugo das Schlossgespenst kennen und hatte endliche die langersehnte Spielidee."
Bei "Hugos Mitternachtsparty" ist also ein Hörspiel aus einem Brettspiel entstanden. Das Ganze gibt es aber auch umgekehrt: Neben Bibi-Blocksberg- und Benjamin-Blümchen-Puzzeln gibt es zahlreiche weitere Brettspieladaptionen zu bekannten Hörspielreihen. Zum Beispiel die Drei Fragezeichen-Ausgabe des Detektivbrettspiels "Cluedo".
Ausschnitt Hörspiel:
"Ihr wagt es also, die Schmiede zu erkunden!"
"Ist das ein Lärm hier!"
"Grundgütiger, seht euch das an!"
"Die Schmiede war ein gewaltiger Raum, der nun fast vollständig von einer monströsen Maschine eingenommen wurde, welche die Gefährten, selbst in ihrer menschlichen Gestalt um Längen überragt hätte. Vanestras Ratten krabbelten über die stählerne Bestie, schlugen Nieten ein und drehten Bolzen fest."
Eine andere Richtung schlägt das Spiel "Maus und Mystik" ein. Es ist weder die Hörspiel-Auskopplung eines bekannten Brettspiels noch ein Brettspiel, das aus einem Hörspiel entstanden ist. Bei "Maus und Mystik" ist ein Hörspiel Teil eines Rollenspiels. Um mehr zu erfahren besuche ich den Verlag Asmodee in Essen. Dort treffe ich Redakteur Marco Reinartz:
Marco Reinartz: "Maus und Mystik ist ein sogenannter Dungeon-Crawler. Die Spieler erleben als Charaktere - in dem Fall sind sie halt Mäuse - erleben eine Geschichte, die sie in unterschiedliche Dungeons, Räume und so weiter führt, wo sie konkret bestimmte Aufgaben erfüllen müssen."
Bei diesem kooperativen Abenteuer treten die Spieler gegen das Spiel an. Die meist recht jungen Spieler müssen sich, in Mäuse verwandelt, zahlreichen Gegnern stellen, wie Ratten, Kakerlaken und Spinnen. Die Rahmenhandlung erstreckt sich bei solchen Spielen normalerweise über viele Buchseiten, die sich die Spieler gegenseitig vorlesen. Bei "Maus und Mystik" dagegen erfahren die Spieler die Geschichte durch das beigefügte Hörspiel.
Marco Reinartz: "Das Hörspiel hat eine ganz eigene Funktion. Diese Geschichte, die wird nicht nur vorgelesen, sondern durch diese Soundeffekte, durch die Musik, durch diese Stimmung, die erzeugt wird, werden Spieler richtig in das Spiel reingerissen. Also die erleben die Immersion in dieses Spiel, also das in sich reinversetzen in die Atmosphäre und so weiter, wird um Längen besser, wenn man also dieses Hörspiel dabei erlebt."
Ausschnitt Hörspiel:
"Dark Spargo hob streng den Zeigefinger."
'Ab ins Bett mit dir mein Junge.'
'Na gut.'
Der kleine Tip gähnte weit und streckte sich noch einmal, bevor er in sein Strohnest kletterte und seinen Schwanz um sich schlang. Dann kuschelte er sich in sein Bett und deckte sich zu. Draußen um den Baum herum heulte der Wind und der Schnee fiel dick und schwer. Doch im Baumstamm drinnen war es warm und trocken."
Damit dieses Zusammenspiel aus Brett- und Hörspiel funktioniert, ist eine gut erzählte Geschichte besonders wichtig, ist sich Marco Reinartz sicher.
Marco Reinartz: "Alle storygetriebenen Spiele, wo einfach viel Geschichte drin ist, bieten sich hervorragend an, um das als Hörspiel umzusetzen. Wenn das einer vorliest, dann ist man schnell abgelenkt, hört gar nicht richtig zu. Bei einem Hörspiel ganz anders. Sofort ist man da. Man ist im Spiel drin und man ist im Setting drin."
Bei sogenannten Pen’n’Paper-Spielen ist die Story ebenfalls entscheidend. Diese Spiele funktionieren ähnlich wie Dungeon Crawler im Stil von "Maus und Mystik". Jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Bei Pen’n’Paper-Spielen gibt es in der Regel keine Figuren oder ein Spielbrett, wie Hauke Gerdes erklärt. Er ist seit einigen Jahren Redakteur beim Websender Rocket Beans TV und beschäftigt sich dort unter anderem mit Podcasts und Hörspielen:
Hauke Gerdes: "Pen und Paper ist eine frei erzählte Rollenspielrunde. Also in simple gesagt, sitzt man an einem Tisch. Erlebt eine imaginäre Geschichte, die vorher ein Spielleiter oder eine Spielleiterin bestimmt hat. Ich sitz also eventuell als Spieler dann oder Spielerin am Tisch und bin eine Elfe, ein Ork oder ein Zwerg und sage, was ich tun möchte: Dann erzählt mir die Spielleiterin: ‘Auf dem Weg zum Berg begegnet dir ein Troll.’ Und ich kann dann entscheiden, ob ich diesen Troll eventuell angreifen, mit ihm reden oder was von ihm kaufen möchte. Und daraus entstehen ganze Abenteuer. Also, ich erzähl auch oft: Ja, es ist wie ein Videospiel, nur ohne grafisches Interface und dass eben alles möglich ist. Das ist Pen’n’Paper."
Seit rund sechs Jahren streamt sein Sender die Spielerunden live auf Youtube. Schnell kam das Interesse in der Community auf, die Tonspur der Abenteuer auch als Podcast hören zu können. Von da an dauerte es nicht lange, erzählt Gerdes, bis daraus live aufgenommene Hörspiele wurden, die von der Spontanität der Spieler und Spielerinnen leben.
Hauke Gerdes: "Das wir eben auch mal sagen müssen: Naja, dann haben wir dafür keinen Sound oder dann greift ein Bär an und man hat nur das Schreien von einem Pavian. Ja, muss man das halt nehmen oder ein bisschen verzerren. Es ist viel Improvisation dabei, aber im Endeffekt ist die Antwort: Ja. Im Grunde können Zuschauerinnen und Zuschauer live erleben, wie ein Hörspiel entsteht und aufgenommen wird."
Nicht nur die Geräusche, sondern auch die Dialoge entstehen spontan beim Spielen. Oft dauern die Abenteuer mehrere Stunden.
Ausschnitt Rollenspiel "Good Times Island"
"Ihr kommt gerade mit dem Taxi an. Sedrik, du kommst als erstes mit dem Taxi am Flughafen an. Für dich geht eine lange stressige Woche zu ende. Du weißt: Vor dir liegen zwei Wochen pure Entspannung auf 'Good Times Island'. Du hast keinen Stress mitgebracht. Du weißt, du freust dich auf eine richtig gute Zeit. Du hast eine Menge gehört über 'Good Times Island Resort und Spa', hast auch ein wirklich gutes Ticket geschossen. Und freust dich darauf, den Checkin noch hinter dich zu bringen und dann reinzukommen."
"Ernsthaft?"
"Ede? Was geht denn ab? Du hier?"
"Was machst du denn hier?"
"Ja, ich dachte, ich fahr mal in Urlaub, ohne euch. Nach der Kündigung."
"Du bist doch immer im Urlaub."
"Ja das stimmt. Aber dieses Mal bin ich solo im Urlaub, ohne Frau. Ich lass das mal richtig krachen, Ede!"
"Ich auch."
"Nein?"
"High five."
"Good afternoon Ladies and Gentlemen…"
"Ja, du kommst am Schalter an. Es dauert noch einen Moment, bis du quasi einchecken kannst. Vor dir ist noch ein älterer Herr, der gerade bedient wird. Du stehst einen Moment an. Du bist jetzt mit Rauchen auch fertig. Du kannst, wenn du willst, aufholen."
Die Community kann während des Livestreams Vorschläge für den Fortgang der Geschichte beisteuern. Nach der Liveübertragung wird der Mitschnitt des Hybrids aus Hörspiel und Pen’n’Paper zum Podcast weiterverarbeitet. Derzeit arbeitet Rocketbeans zusätzlich an einem interaktiven Hörspielprojekt: "Camp-Fire". Hier können die Hörer die Handlung entweder per App oder Sprachassistenten beeinflussen.
Diesen Schritt sind Radioredakteurin Jana Wuttke und die Hörspielredaktion von Deutschlandfunk Kultur bereits im Jahr 2015 gegangen, mit dem Hörspiel "Blowback". Ein Hörspiel, das sich auch als Game auf dem Smartphone spielen lässt.
Ausschnitt "Blowback"
"Halte dich links. Achte auf das Geräusch des Wassers....Das war die Wand…"
"Das Ungewöhnliche ist am Anfang, dass man wirklich außer der Navigation, also dass man mit seinen Fingern sich bewegen kann, sich den ganzen Raum, die ganze, ganze Fiktion wirklich ohne visuelle Hilfe komplett vorstellen muss. Also man muss interaktiv sich in einem Raum bewegen, ohne auch irgendwelche Anhaltspunkte zu haben, die muss man sich erschließen."
Der Hörer oder besser, der Hör-Spieler, bewegt sich durch eine dreidimensionale akustische Welt, die er nicht sehen kann, sondern nur hört. Zwei Füße als Symbole auf dem Handydisplay dienen zur Steuerung. Und die Ohren ersetzen die Augen. Das interaktive Hörspiel "Synthese" aus diesem Jahr geht noch einen Schritt weiter. Ein Hörspiel, das auf, mit und gegen einen Smartspeaker gespielt wird: Dabei wird eine dystopische Zukunft entworfen, in der der Zuhörer für eine mächtige Künstliche Intelligenz Aufgaben erledigen muss. Aber bleibt der Zuhörer ein braver Bürger oder arbeitet er doch lieber an einer Revolution mit? Ich möchte es selbst ausprobieren und unterhalte mich in meiner Rolle als "Harry" mit meinem Sprachassistenten und den Figuren des Hörspiels.
Ausschnitt
Alexa: "Audiofeed unterbrochen"
Hickup: "Hallo, hallo, hier ist Hickup. Kannst du mich hören?"
Martin: "Ja."
Hickup: "Verflucht. Ich hör dich aber gar nicht. Sag nochmal was. Bitte!"
Martin: "Hallo, ich kann dich hören."
Hickup: "Aber ich hab doch die Verbindung. Ich hasse Technik. Warte. Wenn ich hier an der Firewall... So. Sag nochmal was!"
Martin: "Hallo. Kannst du mich verstehen?"
Hickup: "Yes. Ja. Jawoll. Hey, ich bin Hickup, aber das habe ich ja schon gesagt. Wie heißt du?"
Martin: "Ich heiße Martin, aber alle nennen mich hier Harry."
Hickup: "Schön dich kennenzulernen. Ich gehe mal davon aus, dass Alexandria den Datenstrom überwacht, darum benutze ich deinen Namen mal nicht."
Anfangs noch irritiert, lasse ich mich bald auf das Experiment ein und verliere mich schnell im Spiel. Einen Effekt, der im Zentrum des interaktiven Hörspiels "Synthese" steht, erklärt Jana Wuttke:
Jana Wuttke: "Ab wann kann Stimme, ab wann können Raum und Geräusch so stark auf dich wirken, dass es erstens sehr viel mehr freisetzt als beim linearen Hören und wann kann sogar ich in eine Geschichte gezogen werden, wie bei Synthese, wo ich nicht mehr unterscheiden kann: Ist die Figur real, was bin ich eigentlich? Bin ich ein Datenkörper, bin ich ein Nutzer? Was gebe ich von mir preis, wenn ich in einen Dialog trete und wer spricht?"
Jana Wuttke sieht in dieser Art von Hör-Spiel auch großes Potential für die Zukunft.
Jana Wuttke: "Was, glaube ich, schon eine Entwicklung ist, dass es immer mehr personalisiertere auch künstlerische Produkte geben wird, die auch immer mehr auf das abgestimmt sind, was ich eigentlich bin und welche Geschichten ich gut finde. Also nicht etwas Abgeschlossenes. Sondern es wird eher in die Richtung gehen, dass es prozesshafter wird und dass ich als Nutzer stärker involviert werde. Das, denke ich, ist eigentlich sogar eine schöne Entwicklung, oder?"
Die Bandbreite an spielerischer Auseinandersetzung mit dem Hörspiel ist also groß und wird durch technische Entwicklungen immer mehr erweitert: Vom Hörspiel als Teil von Brettspielen, Hörspiele über Brettspiele, wie bei "Hugo dem Schlossgespenst", oder Hörspiele als Vorlage für Brettspiele bis hin zu spielerischen Improvisations-Hörspielen und interaktiven Hörspielen, die den Zuhörer zum Hör-Spieler machen. Und sollte es einem dann doch einmal zu verspielt werden, bleibt letztlich immer die Möglichkeit zu sagen: "Alexa, Stopp!"
Alexa: "Programm wird beendet. Auf wiedersehen."