Der 71. Prix Italia

Celebrating Cultural Diversity

Von Michael Langer |
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Am 28. September ging in Rom der 71. Prix Italia zu Ende. Gegründet wurde dieser renommierte europäische Hörfunk-, Fernseh- und inzwischen auch Internetwettbewerb 1848 von der Radiotelevisione Italiana (RAI). Michael Langer sprach mit der Leiterin der Hörspielredaktion im Deutschlandfunk, Sabine Küchler, die die Veranstaltung in Rom verfolgt hat.
Michael Langer: "Frau Küchler, wir haben ein weinendes Auge, denn eine Ihrer Produktionen war nominiert und zwar von Wittmann und Zeitblom das Bauhaus-Hörspiel "Audio Space Machine". Aber das Motto muss lauten: Dabeisein war alles."
Sabine Küchler: "Dabei sein war alles. Es hat nicht sollen sein, immerhin haben wir es auf die Shortlist geschafft in unserer Kategorie. Und dann wiederum auch, wie ich mir habe sagen lassen von Juroren, denn man muss wissen, die Jury-Sitzungen finden hinter verschlossenen Türen statt, also man kann nicht die Diskussionen verfolgen, wir haben insofern noch Glück gehabt, dass wir unter die letzten drei Stücke gekommen sind, also hatten allen Grund zu großer Freude. Aber es hat nicht sollen sein. Es gab heftige Befürworter unseres Stückes, die aber die restliche Jury nicht restlos überzeugen konnten. Wie man mir erzählt hat, stand es am Ende 2 zu 4. Das reicht natürlich nicht, aber wie Sie sagen: Dabeisein ist alles."
Michael Langer: "Wäre es denn wünschenswert, wenn die Jury-Sitzungen beim Prix Italia öffentlich wären so wie beim Ingeborg-Bachmann-Preis?"
Sabine Küchler: "Schwer zu sagen, also als jemand, der dort ist, ein Stück im Wettbewerb hat, der das beobachtet, ist es natürlich ein bisschen unbefriedigend, sag ich mal so, überhaupt nicht zu ahnen, was geht hinter diesen Türen eigentlich vor sich, wie laufen die Diskussionen. Es ist auch gar nicht so einfach, die anderen Produktionen wahrzunehmen, die auch in dem Wettbewerb noch sind, als jemand, der nicht Juror ist. Also insofern hätte ich mir da durchaus mehr Transparenz gewünscht oder Teilnahme daran, einfach um auch zu verstehen, wohin geht da die Diskussionsrichtung. Auf der anderen Seite ist es vermutlich auch schwer durchzuführen und dann muss man wissen, ist der Prix Italia noch viel mehr als eine Preisverteilung in verschiedenen Kategorien, ob Film, Fernsehen, Web, Radio. Es ist natürlich auch zunächst einmal ein sehr hoch besetztes Branchentreffen, in dem über virulente Fragen der Medienpolitik, Medienästhetik diskutiert wird, und da ist der Wettbewerb ein Teil unter vielen Themen sozusagen in diesen Tagen, so dass möglicherweise das so, wie es zur Zeit läuft, auch die richtige Form ist."
Michael Langer: "Das Hauptmotto dieses Branchentreffens lautete "Celebrating Cultural Diversity" und es gab auffallender Weise viele Veranstaltungen zu Afrika und seiner Medienlandschaft, also zum ganzen Kontinent."
Sabine Küchler: "Das ist richtig. Ich habe auch an einigen dieser Veranstaltungen teilgenommen und war sehr fasziniert. Hochbesetztes Podium mit unglaublich interessanten Referenten, die einem erstmal die Augen und auch die Ohren geöffnet haben darüber, wie groß und wie bedeutend dieser Medienmarkt - nehmen wir mal das hässliche Wort - in Afrika ist. Und wie viel dort eigentlich jetzt auch in Bewegung ist und was es bedeutet für einen so riesigen Kontinent, der ja auch in sich völlig unterschiedlich ist und völlig und völlig unterschiedliches Publikum hat, dafür ein Programm zu machen. Was es eigentlich bedeutet, auch in einem Kontinent, der stark geprägt ist durch Kolonialgeschichte, stark geprägt ist durch die Erfahrung, dass es immer andere waren, vor allem Weiße waren, die einem erzählt haben, wie man die Welt zu sehen hat. Was es eigentlich bedeutet, den Menschen jetzt selbst mal die Stimme zu geben und herauszufinden, was ist eigentlich öffentlich rechtliches Radio in einem solchen Kontinent. Unendlich spannend, aber natürlich schwer nachzuerzählen in ein paar Minuten. Ich hab bemerkt, dass mir gar nicht klar war, was dort alles in Bewegung ist. Ich habe gemerkt, dass ich nicht wusste, dass es dort einen Filmmarkt gibt, der mittlerweile bedeutender ist als Hollywood, größer. Also, ich glaube, da haben wir weißen Europäer doch sehr viel Nachholbedarf und müssen wirklich sehr sehr viel lernen."
Michael Langer: "Und welche Medien spielen eine große Rolle zum Beispiel beim Radio? Spielt UKW eine Rolle oder ist es doch das Internet, das an erster Stelle steht."
Sabine Küchler: "Sicher letzteres. Aber was natürlich für eine Radiomacherin sehr erfreulich ist, ist wahrzunehmen, dass diejenigen, die uns heute erzählen, das Radio sei tot, vermutlich irren. Also, das Radio ist so lebendig wie selten. Afrika - also ich rede jetzt so pauschal - ist ein Kontinent mit Menschen, für die der Umgang mit Smartphones noch viel selbstverständlicher ist als für viele Europäer. Und da ist natürlich Hörfunk für Smartphone viel spannender als auf dem kleinen Display eines Smartphones nun einen Film anzuschauen. Das Radio ist dort unglaublich lebendig und erlebt geradezu eine Renaissance. Also, das ist sehr, sehr ermutigend, was man da erfährt."
Michael Langer: "Ein anderer Programmpunkt widmete sich dem Storytelling."
Sabine Küchler: "Ja, ich hatte das große Glück, muss ich sagen, einem wunderbaren Vortrag folgen zu dürfen von Tony Hall. Tony Hall, BBC-Chef, seit einem Jahr Leiter der EBU, also ein für uns in der Branche ganz großes Tier, ein ganz besonders großartiger Kollege, der etwas mitbringt, was auch in Deutschland, auch in der ARD nicht unbedingt typisch ist, dass jemand in einem Medienunternehmen an oberer Stelle im Management steht, der auch schon einmal das Londoner Opernhaus geleitet hat und der ein solches Referat über Storytelling, ja auch ein Begriff, der auch in deutschen Medien immer wieder benutzt wird, der so etwas beginnt mit einem Zitat aus "Beowulf", der Übersetzung, die der Lyriker Seamus Heaney angefertigt hat. Unglaublich großartiges Plädoyer für Sprache, für Vielstimmigkeit, Mut, für Zwischentöne, Komplexität. Er hat es ungefähr so auf den Punkt gebracht, dass gerade in Zeiten, in denen nach Antworten gesucht wird, in denen es viel Unsicherheit gibt aufgrund - wir müssen es nicht einzeln auseinandersetzen - aufgrund vieler grauenvoller politischer Entwicklungen in der Welt und in unseren Gesellschaften, natürlich das Bedürfnis nach einfachen Wahrheiten und einfachen Antworten so unglaublich groß ist. Und gerade da dürfen wir, die wir das Glück haben Radio zu machen oder Fernsehen zu machen, uns nicht verleiten lassen, nur Schwarz-Weiss-Antworten zu geben, sondern gerade genau sein, präzise sein, auch das Unpopuläre oder scheinbar Unpopuläre zeigen. Das fand ich unglaublich großartig, das zu hören und mit der Eleganz und dem Quentchen auch noch britischem Humor, mit dem das vorgetragen wurde, war das der absolute Höhepunkt für mich bei der Veranstaltung."
Michael Langer: "Sabine Küchler, vielen Dank für diese Eindrücke vom 71. Prix Italia, der am letzten Wochenende zu Ende gegangen ist, vielen Dank!"