Zum Hörspiel des Monats Juni
16:53 Minuten
Das Hörspiel "Flüstern in stehenden Zügen" wurde von der Jury der Akademie der Darstellenden Künste zum Hörspiel des Monats Juni gekürt. Der Autor und diesjährige Georg-Büchner-Preisträger Clemens Setz im Gespräch mit Martin Stengel.
Martin Stengel: "Guten Abend! Am Mikrofon ist Martin Stengel. Das Hörspiel "Flüstern in stehenden Zügen" wurde von der Jury der Akademie der Darstellenden Künste zum Hörspiel des Monats Juni gekürt. Im Stück begleiten wir den Protagonisten C., der nach dem Tode seiner Frau allabendlich durch sein Spam-Ordner geht, Telefonnummern von Abzock-Hotlines heraussucht und diese anruft. Ich bin jetzt verbunden mit dem Autor und diesjährigen Georg-Büchner-Preisträger Clemens Setz. Herr Setz, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu beiden Auszeichnungen, zum Georg-Büchner-Preis und zum Hörspiel des Monats."
Clemens Setz: "Vielen Dank. Danke."
Martin Stengel: "Ihr Stück "Flüstern in stehenden Zügen" war ja ursprünglich als Theaterstück geplant und wurde auch als Theaterstück umgesetzt. Wie kam es denn dazu, dass aus Ihrem Stück auch ein Hörspiel geworden ist?"
Clemens Setz: "Oh, das war nicht meine Idee. Das hat jemand anderes darin gesehen wohl. Und ich glaube, es liegt vor allem daran, dass das so ist, ist vielleicht deswegen so leicht umsetzbar gewesen, weil das ein recht statisches Stück ist, fast ohne visuelle Dinge. Ein kleines Stück, das auch im Dunkeln aufgeführt werden könnte, was ja dann eh eine Definition eines Hörspiels ist."
Martin Stengel: "Die Regie beim Hörspiel hat Philip Scheiner geführt. Gab es denn da auch eine Zusammenarbeit mit Ihnen oder hat er sozusagen den Text von Ihnen übernommen? Und Sie haben - ja oder besser gesagt, Sie haben den Text ihm in die Verantwortung übergeben?"
Clemens Setz: "Das Zweite. Ich übergebe Texte immer in die Verantwortung derer, die das dann umsetzen. Ich habe immer ein bisschen. Ich kriege immer ein bisschen Angst, wenn jemand zu viele Fragen stellt, weil dann ja, ist die Person nicht sicher, was sie machen will. Das ist es dann so. Ich mag eher jemanden, der sagt: Okay, ich ändere das wirklich stark. Ich hoffe, es ist okay für Sie und ich mache meine Kunst. Das kann man natürlich manchmal so machen, dass ich sage jetzt, oh Gott, das Ergebnis ist ganz schrecklich. Das war einmal der Fall, auch von diesem selben Stück, wo Dinge ganz unverständlich gemacht wurden, also zum Beispiel wurden zwei Szenen gleichzeitig gespielt, sodass man alles gleichzeitig hörte und also nichts mehr verstand. Da war ich dann natürlich an sich dagegen, habe aber natürlich gesagt, okay, deine Kunst, ist okay, aber ich freue mich dann nicht drüber. Aber ich bin immer jemand, der das aus der Hand geben möchte. Und ich möchte überhaupt nicht irgendwie, ich meine, man kann mir natürlich schon Fragen stellen zum Verständnis, aber das Problem ist wirklich immer, es ist so, als würde man mir Fragen über die Medikation für eine Krankheit stellen. Ich bin nicht kompetent. Ich habe das Stück zwar geschrieben, aber für Regie und für Hörspiel bin ich wirklich nicht kompetent. Ich habe keine Ahnung und das muss man auch zugeben. Und man kommt als Autor, vielleicht tatsächlich als männlicher Autor, wer weiß, häufiger in die Position, dass man mit Autorität sprechen darf in einem Gebiet, wo man gar keine hat. Also da muss man dann auch sehr aufmerksam sein und das möglichst schnell erfassen und sagen, okay, ja, das würde eine dieser Momente, dieser, dieser historischen Anomalie, was die Wertschätzung von Autoren angeht, da muss man sagen: Ich bin nicht kompetent."
Martin Stengel: "Ich habe gelesen, dass Sie literarisch auch von Ernst Jandl inspiriert wurden oder er einer ihrer ersten literarischen Anlaufpunkte gewesen ist. Ernst Jandl hat ja auch Hörspiele gemacht. Hatten Sie denn auch mit den Hörspielen von Jandl Kontakt?"
Clemens Setz: "Ja, ja, ich kenne die. Und das sind ja auch so, manchmal als Stück oder als Sprechstück, oder wie man das nennt, ja, die sind ja in jedem Medium gleich, fügen sich so ganz quecksilbrig kontaktfreudig da gleich in alle Medien. Also, sie sind nicht so bekannt wie seine Lyrik, es gibt so berühmte Gedichte von ihm, die jeder kennt, aber die Stücke oder die Hörspiele sind wirklich fantastisch. Das hat mir auch ein bisschen beim Lesen immer wieder die Idee gegeben, dass das ja eigentlich eine lebendige Tradition sein müsste, obwohl das nicht mehr so ganz der Fall ist. Hörspiele waren mal sehr populär, also das so die Zeit als Günter Eich diese sehr berühmten Träume veröffentlicht hat und andere Hörspiele. Und jetzt schmelzen sie so in andere Genres über, wie so True Crime Podcasts oder Fiction Podcasts, Dinge, die irgendwie so ähnlich sind, aber doch noch von einer anderen Ästhetik herkommen und vielleicht ist das ein bisschen ein, wie soll man sagen, ein Gebiet in Verwandlung. Aber ja, die Stücke und auch die Hörspiele von Jandl, sind ganz, ganz großartig und auch wahnsinnig witzig und auch wahnsinnig zugänglich heute noch. Man muss da gar nichts irgendwie aus dem Zeitgeschmack lesen oder braucht überhaupt keine große Vorerklärung, was doch sonst schon oft der Fall ist natürlich, gerade bei Theaterstücken, viel mehr noch als bei Romanen."
Martin Stengel: "Sie haben das Stück ja bereits vor der Corona-Pandemie geschrieben und waren auch mit dem Schreibprozess vor der Pandemie durch. Hatte denn die Pandemie dennoch irgendwie einen Einfluss auf die Umsetzung im Hörspiel? Ich gehe einfach mal davon aus, dass Sie das Hörspiel auch gehört haben. Und wenn Sie sagen, Sie geben das Stück an die Hörspielmacher ab. Haben Sie da irgendwelche Unterschiede gemerkt und gesagt, hier habe ich das Gefühl, ist dennoch irgendwie diese Gesamtsituation Pandemie mit hineingeflossen?"
Clemens Setz: "Ja doch, es wurde nur nach den Corona, nachdem das halt begann, diese Lockdown-Zeiten und es wurde nur da aufgeführt und umgesetzt. Das heißt, alles glaube ich, jede Fassung war deutlich beeinflusst davon. Und ja, natürlich ist eine vereinzelte Gesellschaft oder eine weggesperrte, wie man das nennen will, eine voneinander getrennte oder voreinander Angst habende oder vorübergehend einander eben nicht physisch begegnende Gesellschaft... Da ist zum Beispiel die Theateraufführung ist da per Definition ein Alien in dieser Gesellschaft, also zumindest für die Zeit dieser Krise, weil man sieht sie dann nur als Stream und man sieht sie als notdürftig mit ganz wenigen Zuschauern irgendwo gerade noch so als Underground-Ereignis eingeleitete Sache. Aber das Hörspiel ist gerade da sehr perfekt dafür. Nämlich der Mensch mit dem Walkman, also die moderne Gestalt der, der nur eine innere Stimme hört. Was früher, in vergangenen Zeiten, nur den Heiligen und den wahnsinnig Gewordenen vorbehalten war, jetzt ist es für alle da ist. Und ich frage mich, ob es Menschen gibt heute noch, die so wie vielleicht noch vor fünfzig Jahren, nur so eine Fußnote dazu, gemeinsam ein Hörspiel hören vorm Radioapparat, dass man, wenn man zu fünft sitzt und ich glaube, es ist immer jetzt mit Kopfhörer, so stelle ich es mir vor. Vielleicht gibt es noch Leute, die das als Gruppe hören, als Gruppenereignis. Aber ja, es ist ein Vereinzeln... So wie das Buch auch, es ist ja gar nichts Schlimmes an diesem Genre oder an diesem Medium, aber es gibt halt eben immer nur einer Person, die lauscht. Und ja, ich bin ein bisschen von der Frage weggekommen. Aber ja. Aber es ist entstanden, vor dem. Ich habe keinen Gedanken an eine Pandemie da gehabt oder an ein Lockdown oder so.."
Martin Stengel: "Sie haben es jetzt auch gerade schon einmal angesprochen, diese Idee von einem Wahnsinnigen oder Heiligen, der diese innere Stimme hört, wie ihre Hauptfigur in das Telefon spricht und wir ja nicht hören, was sein Gegenüber sagt und vor allem auch, ob sein Gegenüber überhaupt irgendetwas sagt. Das hat mich ein wenig an die Situation beim Beten erinnert. Also, wenn Menschen sich hinknien und zu Gott sprechen, von ihren Ängsten, Sorgen, reden und auch auf Antworten hoffen, die sie ja in der Regel nicht kriegen, ist da auch eine gewisse Parallele gegeben bei Ihrem Stück zu diesem religiösen Kontext?"
Clemens Setz: "Ja, sicher. Bei mir glaube ich, es immer ein religiöser Kontext, der mich selber dann sozusagen überrascht, das ist fast in allen Sachen, aber hier ganz besonders wahrscheinlich, weil er diese Abzocker-Hotlines anruft, die man ja wirklich anrufen kann, und es gibt ja so eine sehr lebendige YouTube-Szene wirklich mit so einem 100000000 Zuschauern, wo die Leute da anrufen und dann halt irgendwas reden mit denen und aufzeichnen und schöne Momente herauskitzeln wollen. Und das verwendet er allerdings nicht für die Unterhaltung von jemand anderem, für seine YouTube Follower oder sowas oder TikTok, sondern für... wie ein Orakel, also man besucht es und möchte irgendeinen echten Satz hören, irgendetwas, was echt war oder was einen weiterbringt, was Tröstliches und auch nur irgendwie mal echte Emotion. Und dann mahnt er immer etwas ein. Also er mahnt ein oder verlangt so streng und mit Nachdruck, dass man doch nicht gekünstelt und nach Skript mit ihm sprechen möge, was ja genau das Sinn dieser Abzocker-Hotlines sind. Die haben immer dasselbe Skript und versuchen halt Leute davon zu überzeugen, dass sie ihnen Geld überweisen und dass Einmahnen des paradoxesten Dings, das, was gerade nicht da ist, hat eigentlich doch eine religiöse Komponente, glaube ich. Das Suchen dessen, was da nicht sein kann, ist einerseits absurd und anderseits auch irgendwie gläubig und religiös und metaphysisch."
Martin Stengel: "Die Deutsche Akademie der Sprache und Dichtung hat in ihrer Begründung, weshalb Sie den Georg-Büchner-Preis bekommen haben, gesagt, dass Sie in Ihren Romanen und Erzählungen immer wieder menschliche Grenzbereiche erkunden. In welchem Grenzbereich befindet sich denn die Hauptfigur in "Flüstern in stehenden Zügen"?"
Clemens Setz: "Ja, Grenze zur Selbstauflösung? Sicher ist er ein gefährdeter Mensch, der sie vielleicht umbringen könnte, weil er so zu vereinsamt, so verzweifelt ist. Und dann ist die Grenze insofern, dass er auch kulturüberschreitend eine Verbindung erzeugen möchte, ruft da in Bulgarien und Indien an oder wo immer diese ganzen Callcenter sind, also auf Deutsch ist es eher Osteuropa Ost-Europa. Wenn man Englisch spricht, wäre es Indien ganz viel. Und vielleicht manchmal sogar auch Afrika, Nigeria, glaube ich, sind auch manche. Und ja, er versucht dann auch so: Wie ist das Leben bei euch. Wie sagt ihr dazu? Er lernt Sätze auf Rumänisch und übt die. Und das ist auch so eine, ein verzweifeltes Leiternbauenwollen, er macht das auch nicht unbedingt würdevoll, sondern auch ein bisschen gedrängt, zynisch, Mischung aus Neugier und Abwertung ist da dabei. Er mahnt immer so etwas ein, so wie: sei doch etwas geduldiger mit mir. Aber ist es dann selber überhaupt nicht. Ja, das sind natürlich Grenzbereiche, die ganz alltäglich sind, glaube ich immer. Man sagt immer so: er lotet Grenzbereiche aus oder zeigt Menschen in extremen Zuständen, aber diese Sachen sind oft sehr alltäglich. Nicht nur in der Pandemie. Es sind auch sehr gewöhnliche Dinge oder nicht gewöhnlich vielleicht, aber doch allgegenwärtig. Ja, schwer zu sagen, was die Akademie da gemeint hat genau."
Martin Stengel: "Sie haben es jetzt ja auch gerade angesprochen, dass sich Ihre Figur in Selbstauflösung befindet. Wir wissen ja auch gar nicht genau, wie er heißt. Er wird als C. Christian vorgestellt und er stellt sich selbst manchmal als Christoph oder als Christopher vor. Oder sogar als Josef Zehn-Finger-Faultier... Ist er da auch irgendwie auf der Suche nach sich selbst in diesen Telefonaten, die er allabendlich führt?"
Clemens Setz: "Ja, das Wechseln von Namen wird oft als Chiffre für die Identitätssuche gelesen. Sie entsteht aber oft in Momenten einfach aus einer kleinen Tradition, die es da gibt. Und zwar, wenn man da anruft, ich hab das einfach direkt übernommen von YouTube. Die sagen auch immer einen neuen Namen. Scam-bating nennt sich das, also Scammer-Hotlines anrufen und sie irgendwie ködern und ärgern. Und sie sagen jedes Mal einen neuen Namen. Und das entsteht dann nicht aus einer Identitätssuche. Es sieht wie eine aus, aber sie entsteht eigentlich nur aus dem Winging it, ja, also irgendwie Improvisation jammen. Es ist eine lose, lockere...Nichts soll irgendwas bedeuten. Also man kann sagen, ich bin irgendwie einfach, das ist so egal, da entsteht es eh, weil es so egal ist, macht er das. Aber er heißt, sein Name beginnt schon mit C. Und vielleicht sagt er seinen echten nie."
Martin Stengel: "Der einzige Kontakt, den Ihr Protagonist mit Menschen außerhalb seiner Telekommunikationswelt, dieser medialen Welt hat, ist zum einen sein Kollege und zum anderen eine Kundin im Computerladen, in dem er arbeitet. Und im Hörspiel spricht er am Ende auch über das Telefon mit dieser Kundin. Und irgendwie dadurch hat er wieder Kontakt zur Außenwelt, eine gewisse Anschlussfähigkeit vielleicht auch gefunden oder erworben. Ist das auch irgendwo ein angedeutetes Happy End?"
Clemens Setz: "Ja, das würde ich so sagen. Es ist eine Möglichkeit. Er war ja im Training, also im Telefontraining hat sich da irgendwie... Wie kriegt man jemanden dazu, dass er länger zuhört oder aus seiner Schale zu kriechen? Oder das Skript zu verlassen? Jetzt hat er mal einen Menschen am anderen Ende, der gar nicht so schwer davon zu überzeugen ist, sondern der irgendwie doch auch nicht vielleicht fasziniert noch aber irgendwie beeindruckt ist. Oder die Kundin hat zumindest von ihm ungewöhnliche Dinge gehört und war mal interessiert und unterhält sich jetzt mit ihm. Und sie hat dann also ja, ich würde sagen, es ist ein hoffnungsvolles Ende, so wie die meisten Sachen von mir. Obwohl immer gesagt wird, so düster und grotesk und schrecklich, aber das Ende ist sehr häufig auch hoffnungsvoll, weil es im Leben meistens nicht hoffnungsvoll endet und im Leben nie etwas endet. Das Ende ist ja eine Erfindung der Literatur generell. Es geht ja bei uns immer weiter. Selbst der eigene Tod, erklärt man uns, ist nicht irgendwie ein Ende, sondern Beginn von ganz furchtbar Vielem. Für die anderen. Also das Ende gestalte ich deswegen immer irgendwie hoffnungsvoll. Aber da hat es mich auch ein bisschen überrascht, wie es endet. Ich hat überhaupt keine Ahnung beim Schreiben, wie das enden soll zuerst, weil ich ja als Recherche oder als Vorlage diese YouTube-Kanäle hatte. Und die enden dann einfach mit der Verzweiflung des Angerufenen, nämlich des Menschen in Indien und ich wusste, so kann und so wird es nicht enden, das ist ja ne blöde Geschichte, wenn man einfach nur jemanden besiegt. Ich finde auch dieses Scam-Baiting eigentlich teilweise unerträglich racist, sage jetzt mal so und mit diesem komischen Wort. Aber es ist wirklich oft schrecklich. Aber ja, dann, wenn es da lebt, muss man es auch zeigen und muss man es auch untersuchen."
Martin Stengel: "Also, dieses Gespräch endet auf jeden Fall nicht mit absoluter Verzweiflung. Deswegen möchte ich mich noch einmal bei Ihnen bedanken, dass Sie sich die Zeit für das Gespräch genommen haben, Herr Setz. Das war Clemens Setz, der Autor des Hörspiels des Monats und Theaterstücks "Flüstern in stehenden Zügen" und diesjähriger Georg-Büchner-Preisträger. Am Mikrofon verabschiedet sich Martin Stengel."