Stadt. Land. Rixdorf
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Ein idyllisches Dorf inmitten des trubeligen Bezirks Berlin-Neukölln: Rixdorf hat sich seinen ländlichen Charakter bewahrt. Die Mischung aus Bauernhäusern und Jugendstil wirkt wie ein Magnet für Zuzügler aus aller Welt. Woher kommt der Wunsch nach ländlichem Leben in der Stadt?
In der Neuköllner Karl-Marx-Straße prägen Internet- und Handyläden, Ausstatter für arabische Hochzeiten und Dönerbuden das Stadtbild. Hier treffen Tag für Tag Gesichter und Stimmen aus über 150 Nationen aufeinander. Die Atmosphäre ist geschäftig, manchmal rau und auf jeden Fall großstädtisch bunt. Doch neben dem Ruf als Deutschlands bekanntester Problemkiez hat Neukölln auch eine andere, idyllisch-dörfliche Seite zu bieten. Denn keine hundert Meter von der Karl-Marx-Straße entfernt beginnt das Dorf - Rixdorf.
Der alte Ortskern von Neukölln
Hinter den majestätischen Gebäuden aus der Gründerzeit, die das mondäne Flair des Richardplatzes prägen, stehen noch immer die alten Scheunen und Bauernhäuser der böhmischen Einwanderer. Die kamen im 18. Jahrhundert als Glaubensflüchtlinge nach Preußen und wurden hier – südlich der damaligen Berliner Stadtgrenze, angesiedelt.
Geprägt von böhmischen Geflüchteten
"Diese Häuser sind noch im Besitz von Nachkommen ehemaliger Flüchtlinge", weiß Susanne Lehmann, die Führungen im Museum des böhmischen Dorfs anbietet. Sie ist selbst Nachfahrin der Einwanderer in 12. Generation. Bei Kaffee und Kuchen empfängt sie den Autor und erzählt von den drei böhmischen Gemeinden, die noch immer auf dem Böhmischen Gottesacker, dem alten Friedhof nahe der Karl-Marx-Straße ihre Toten begraben.
Ländliches Idyll inmitten der Großstadt
Unweit des Museums öffnet Karin Zwickel ihren Garten ab und zu für staunende Flaneure. Zwischen Sonnenallee und Karl- Marx-Straße wirkt ihr Garten wie ein kleines Paradies: "Wie Du hörst, hörst Du nichts. Und das in Neukölln!", sagt sie lachend. Im Sommer allerdings quaken manchmal die Frösche in dem kleinen Gartenteich neben ihrem Haus.
Neue Traditionen
Einmal im Jahr treffen sich in Rixdorf Alteingesessene und zugezogene Neuköllner zum Popráci, dem Rixdorfer Strohballenrollen. Der Brauch, bei dem verschiedene Mannschaften je einen Strohballen 222 Meter um den Richardplatz rollen müssen, ist eigentlich noch gar nicht so alt. Christoph Böhm hat das Fest 2008 initiiert: "Ich sehe den ganzen bunten Stadtteil, der aus über 150 Nationalitäten besteht. Die sind feiern friedlich miteinander. Das ist eine politische Konferenz anderer Art, denn der Stadtteil ist sehr von Gentrifizierung bedroht, aber bei solch einem Fest kann man zusammenkommen und gemeinsam über Zukunft des Stadtteils nachdenken."
Die alte Schmiede
In der Mitte des Richardplatzes steht ganz prominent die alte Schmiede. Dort empfängt Martin Böck Besucher zu Schmiedekursen oder einfach nur zum Gucken. Er ist seit 14 Jahren am Platz und hat die rasanten Veränderungen im Kiez miterlebt. Steigende Mieten sind der sichtbarste Aspekt einer Aufwertung, die letztlich auch damit zu tun hat, dass Rixdorf im Kontrast zur anonymen Großstadt so idyllisch wirkt. Böck kann dieser Entwicklung aber auch Gutes abgewinnen: Die vielen zugezogenen Familien sorgen für eine offene, entspannte Atmosphäre, sagt er.
Die Bewohner- und Ladenstruktur im Wandel
Die Veränderungen in der Bewohnerstruktur von Rixdorf machen sich auch an den vielen neuen Läden bemerkbar. Es gibt eine Weinbar, eine Boutique mit teuren, selbstgeschneiderten Klamotten und einen Veganladen. Der war eigentlich als Treffpunkt für hippe Politaktivisten gedacht, hat sich aber inzwischen zum Dorfladen für bewusste Konsumenten und gutbetuchte Anwohner gemausert.
Früher war alles leer
Am böhmischen Platz, dem zweiten Zentrum Rixdorfs, wurden vor einigen Jahren nahezu alle Wohnhäuser an große Investoren verkauft. Nur das Haus nicht, in dem Artur Albrecht sein Puppentheater betreibt. Seit dreizehn Jahren macht "der Artur", wie er hier genannt wird, Kaspertheater für große und kleine Gäste. Er hat die Veränderungen im Dorf erlebt.
"Zumindest als wir hier her gekommen sind, war die Welt hier am Boden. Es war Stillstand, es war alles leer. Die Läden waren leer, die Leute waren entleert, es gab kein öffentliches Leben, an den Fenstern rote Schilder "zu vermieten", "zu vermieten", "zu vermieten"."
Jeder kennt hier jeden
Beim Spaziergang durch das Dorf grüßt Artur andere Gewerbetreibende und Mütter mit Kopftuch, die Kinderwagen vor sich her schieben. Keine zehn Meter ohne ein Gespräch oder eine Geschichte. "Das ist das Dorf, das ist Rixdorf", ruft er aus und erblickt auf der anderen Straßenseite schon wieder jemanden, den er kennt.
Landsehnsucht als Modetrend?
Ist es die Sehnsucht nach dem ruhigen Landleben, die die Leute nach Rixdorf zieht? Und handelt es sich beim Wunsch ländlich zu wohnen, zu essen und zu wirtschaften um einen Modetrend? Diese Fragen erörtert Étienne Roeder mit der Filmemacherin Lola Randl. Sie ist selbst vor zehn Jahren auf´s Land gezogen und hat das bisweilen kuriose Aufeinandertreffen der beiden Welten Stadt und Land in mehreren Filmen verarbeitet. 2014 drehte sie z.B. die Fernsehserie "Landschwärmer". Darin begleitet sie Städter bei ihren ersten ungelenken Gehversuchen auf dem Land. Immer liebevoll blickt sie dabei auf die romantischen Vorstellungen ihrer Protagonisten, wie sie diese umzusetzen und oft genug auch daran scheitern.
(Wiederholung vom 21.12.2018)