Riace im Visier der Lega
Ein Integrationsmodell wird abgewickelt
Von Aureliana Sorrento
Regie: Matthias Kapohl
Es sprachen: Therese Hämer, Agnes Pollner, Janina Sachau, Claudia Mischke, Wolfgang Rüter, Walter Gontermann, Michael-Che Koch und Jochen Kolenda
Ton und Technik: Ernst Hartmann und Katharina Lueg
Redaktion: Wolfgang Schiller
Produktion: Deutschlandfunk 2019
Riace im Visier der Lega
52:41 Minuten
Riace war ein Musterbeispiel an Integration. Flüchtlinge brachten neues Leben in das sterbende Dorf an der ionischen Küste Kalabriens. Bis 2018 lebten Einheimische und Migranten friedlich miteinander. Dann kam der Bürgermeister unter Hausarrest, und die Flüchtlinge wurden weggebracht.
In den 1950er-Jahren begannen Riaces Bewohner auf der Suche nach Arbeit auszuwandern. Kurz vor der Jahrtausendwende war der alte Ortskern im hügeligen Hinterland, Riace Borgo, beinah entvölkert. Dann landete ein Schiff voll kurdischer Flüchtlinge an Riaces Strand. Der Linksaktivist Domenico Lucano und eine Gruppe Gleichgesinnter brachten sie nach Absprache mit den emigrierten Eigentümern in den verlassenen Häusern des Dorfes unter.
Lucano ließ sich 2004 zum Bürgermeister wählen und nutzte staatliche Mittel für die Aufnahme von Flüchtlingen, um sie auszubilden, ihnen Arbeit zu geben und um die dazu notwendige Infrastruktur zu errichten. Auch die Einheimischen profitierten davon. Kita und Grundschule wurden wieder eröffnet, Arbeitsplätze geschaffen, die Mikrowirtschaft des Dorfes angekurbelt. Riace wurde ein weltweit gepriesenes Integrationsmodell.
Im Oktober 2018 stellte die Staatsanwaltschaft des benachbarten Locri Domenico Lucano unter Hausarrest - wegen des Verdachts auf Begünstigung illegaler Einwanderung und anderer Delikte. Der rechtsextreme Innenminister Matteo Salvini ließ die in Riace lebenden Asylbewerber in zum Teil weit entfernte Aufnahmelager im ganzen Land bringen. Alle Versuche, das Integrationsprojekt wiederzubeleben scheiterten.
Anfang Oktober 2021 wurde bekannt, dass Domenico Lucano vom Gericht in Locri in fast allen Anklagepunkten schuldig gesprochen und zu 13 Jahren und zwei Monaten Haft, sowie zur Rückzahlung von 500.000 Euro Fördergeldern verurteilt wurde. Seine Anwälte kündigten an, in Berufung zu gehen.
Aureliana Sorrento wurde 1971 in Reggio Calabria geboren und studierte in Rom moderne Sprachen und Literaturwissenschaft. 1992 zog sie nach Deutschland und absolvierte den Aufbaustudiengang "Journalistik und Kommunikationswissenschaft" in Hannover. Nach dem Studium war sie für den Rundfunk und verschiedene Zeitungen als Kulturjournalistin tätig. Seit 1999 lebt sie in Berlin und arbeitet vor allem als Feature-Autorin für den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Schweizer Rundfunk.