Porträt per Telefon: Aus dem Leben einer Wäscherin
64:44 Minuten
Eine "gewöhnliche" Frau erzählt am Telefon aus ihrem Leben: Arbeitskampf und Altersarmut, Westreisen zu DDR-Zeiten, Vertrauen und Verluste – und die Kunst, wie einem das Sammeln von Kugelschreibern Ausgleich verschafft.
Unser Feature ist eine kleine medienhistorische Hommage, denn "Porträt per Telefon" hieß eine Live-Sendung im DDR-Fernsehen, die von 1969 bis 1990 lief. Moderiert wurde sie von Heinz Florian Oertel, dem bekannten Sportreporter des Landes. Zu Besuch war immer nur ein Gast, die Menschen vor dem Fernseher konnten anrufen und Fragen durchgeben, die der Moderator stellte.
"Aus dem Leben einer Wäscherin" imitiert dieses Format. In langen Telefonaten berichtet eine Frau aus Neustadt an der Orla aus ihrem Leben. Geboren wurde sie 1961 in Saalfeld. Das Gespräch über den Wert der Arbeit, über Arbeitsbedingungen in der Wäscherei und wie mit jedem neuen Chef etwas schlechter wird in den letzten 26 Jahren, wird bald eine Erzählung über alles.
Über oben und unten – in Neustadt an der Orla und in der Gesellschaft. Über damals und heute, die Schweinemastanlage und die Wäscherei, Gestank und Sauberkeit. Über DDR und BRD (wobei hier nicht jedes politische System die Rolle spielt, die ihm gemeinhin zugedacht wird), Westreisen und Leistungsgesellschaft. Altersarmut und 9,35 Euro Mindestlohn. Erster Sekretär des Zentralrats der FDJ. Und gute Musik: "Help Mother".
Es geht aber auch um Familie und Freundschaft, Vertrauen und Verlust. Darüber, dass Mädchen lieber das Motorrad saubermachen, als Stricken zu lernen. Warum zum Stiefvater nicht Stiefvater gesagt wird, sondern Vater. Und wie Kugelschreiber, die noch in den Kitteln und Kasacks stecken, wenn die in die Wäscherei kommen, epiphanische Erlebnisse zum Ausgleich verschaffen können. Auch wenn hier niemand "epiphanisch" sagt. "Und so, denke ich mal, kann man leben."
Porträt per Telefon: Aus dem Leben einer Wäscherin
Von Matthias Dell
Regie: der Autor
Mit: Cecilia Valenti
Ton: Philipp Adelmann, Martin Kropp
Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2020
Länge: 56'30
Von Matthias Dell
Regie: der Autor
Mit: Cecilia Valenti
Ton: Philipp Adelmann, Martin Kropp
Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2020
Länge: 56'30
Matthias Dell, geboren 1976, arbeitet als Kritiker und freier Redakteur für die aktuellen Sendungen von Deutschlandfunk Kultur und "Stunde 1/Labor" (etwa: "Til Schweigers Kino – der letzte deutsche Autorenfilmer", Januar 2020). Auf zeit.de erscheint seine wöchentliche Tatort-Polizeiruf-Kolumne "Obduktionsbericht". Bücher: "‘Herrlich inkorrekt‘. Die Thiel-Boerne-Tatorte" (2012). "Über Thomas Heise" (2014) und "Duisburg – Düsterburg. Werner Ruzicka im Gespräch" (2018, beide mit Simon Rothöhler).