Von Tieren, Frauen und der Freiheit
43:50 Minuten
Ein Marder führt durchs Technikmuseum, ein Hirsch singt über Männlichkeit - "hannsjana" eröffnen ungewohnt schräge Perspektiven auf unsere Gesellschaft. Das Künstlerinnenkollektiv ist mit voller Überzeugung Teil der Freien Theaterszene. Aber die ständige Suche nach Finanzierung kostet auch Nerven.
Im Technoseum in Mannheim rauschen und surren Maschinen und Gerätschaften, 200 Jahre deutsche Technikgeschichte kann man hier entdecken. Jule Gorke, Katharina Siemann und Marie Weich vom feministischen Künstlerinnenkollektiv hannsjana stehen bei den historischen Laufrädern und überlegen, wie sie ihr Publikum geschickt durch die riesige, etwas unübersichtliche Ausstellung geleiten können.
In ein paar Wochen hat der performative Audiowalk "Tiefergelegt" Premiere. In Zusammenarbeit mit dem Technoseum und dem Nationaltheater Mannheim entwickeln hannsjana eine künstlerische Führung zum Thema Autotuning. Mannheim, die Stadt des ersten Benzinautos, hat eine besondere Geschichte mit den sogenannten "Posern", die mit ihren lauten Autos durch die Stadt fahren und die Anwohner*innen teilweise verärgern.
In hannsjanas Audiowalk soll es deshalb um Klischees gehen, die mit dem Tunen verbunden sind: Machen das eigentlich hauptsächlich Männer? Warum machen sie das und was ist dabei besonders wichtig? Und ist nicht die gesamte Geschichte der Technik eine Geschichte des Aufmotzens?
"Wir brechen gerne Männerdomänen auf"
Um an Informationen für ihre Audiowalks zu kommen, gehen hannsjana gerne raus - sie stellen sich zum Beispiel an die in Mannheim berühmte "Kunststraße", die Straße, auf der die Poser regelmäßig ihre Motoren aufheulen lassen und befragen die Tuner selbst. Sie besuchen Führungen, gehen ins Stadtarchiv, fahren in Autowerkstätten und lesen Fachbücher. Allerdings haben sie keinen pädagogischen Anspruch - sie wollen nicht "von oben herab" Inhalte vermitteln, erklärt Marie Weich. Viel eher wollen sie in ihren Arbeiten Anregungen schaffen, sich mit den für selbstverständlich hingenommenen Blicken auf unsere Welt auseinanderzusetzen und diese zu hinterfragen.
"Wir möchten immer gerne humorvoll arbeiten, möglichst nicht so viele Ausschlüsse produzieren und uns gerne mit Themen beschäftigen, die nicht klassischerweise sogenannte Frauenthemen sind, wir brechen gerne Männerdomänen auf", erläutert Katharina Siemann. Als zusätzliche Ebene hat das Kollektiv eine neue Art des feministischen Maskenspiels entwickelt: mit überdimensionalen Pappmaché Masken auf dem Kopf, halb Mensch, halb Tier, tanzen Performerinnen durch das Museum, während die Besucher*innen über Kopfhörer Informationen zu Exponaten und anregende Fragen gestellt bekommen.
Planungssicherheit meistens nur für wenige Monate
Gorke, Siemann und Weich sind nur die eine Hälfte von hannsjana, mit Laura Besch, Lotte Schüßler und Alice Escher sind sie komplett. 2011 als Band gegründet erarbeitet das Kollektiv Audiowalks für Museen sowie Bühnenstücke. Erst seit etwa eineinhalb Jahren sind die Projekte auch finanziell abgesichert. Nicht immer sind alle sechs Performerinnen beteiligt, einige promovieren gleichzeitig oder arbeiten in anderen Kontexten. Berufliche Flexibilität und finanzielle Unsicherheit sind ein Merkmal der Freien Theaterszene, schließlich handelt es sich hier um eine Form der Selbständigkeit, bei der für jedes Theaterprojekt neue Anträge geschrieben und Finanzierungen gefunden werden müssen.
Planungssicherheit gibt es meistens nur für wenige Monate. Um in der Vielfalt der freien Theatergruppen nicht unterzugehen, muss man auch auf seine eigene Professionalität bestehen, erklärt Katharina Siemann: "Wir haben wirklich super viel gearbeitet und viele Projekte gehabt, die uns dann wieder andere Sachen eröffnet haben. Und haben eigentlich schon von Anfang an bei schlechter bezahlten Projekten gesagt ‚Okay, wir machen jetzt dieses kleine Projekt mit euch, von dem wir nicht leben können, wenn wir danach ein großes Projekt machen können, vom dem wir leben können‘. Eigentlich planen wir auch immer schon das nächste Projekt."
Zwischen der Recherche und der Premiere in Mannheim kehren hannsjana nach Berlin zurück, wo sie auch leben und proben gemeinsam mit vier Schauspielerinnen von Theater Thikwa an ihrem Theaterstück "Diane for a Day". Ähnlich wie in Mannheim hinterfragen sie auch hier wieder Geschlechterstereotype: sie bedienen sich einer von der amerikanischen Performancekünstlerin Diane Torr entwickelten Technik und schlüpfen als "Drag-Kings" in Männerkostüme, um "typisch männliches" Verhalten auf der Bühne zu parodieren.
Menschen mit und ohne Behinderung machen Theater
Auf der Bühne stehen mehrere halbrunde Podeste, ausgekleidet mit silbernem Stoff, der Hintergrund wird von einem silbernen Show-Vorhang bestimmt. Die Schauspielerinnen tragen alle dieselbe Grundkleidung: cremefarbene Hemden und beige Hosen. Je nach Männercharakter haben sie die Kostüme individualisiert. Der Rocker trägt Nietengürtel, der linke Student Kapuzenpulli, der Geschäftsmann ein feines Sakko.
Mereika Schulz steht auf der vordersten Bühne und probt ihren Text: "Menschen ohne Behinderung zeigen sich in der Öffentlichkeit. Sie fühlen sich wohl in ihren Räumen. Sie haben was drauf. Sie zeigen es einfach. Sie sagen dann ‚Ich kann allein zum Bäcker und Brötchen holen. Mir geht es gut, ich bin froh darüber, hier zu sein.‘
Im Theater Thikwa entwickeln seit 1990 Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam Theaterstücke. Besucht man das kleine Theater in Berlin Kreuzberg, stellt sich schnell die Frage, warum auf den großen Bühnen Deutschlands eigentlich kaum Menschen mit Behinderung zu sehen sind.
Mit anderen Augen sehen
"Diane for a Day" bietet die Möglichkeit, diese als normal hingenommene Tatsache mit anderen Augen zu sehen. In einer Szene des Stücks verlagern die Thikwa-Schauspielerinnen Sabrina Braemer, Jasmin Lutze, Laura Rammo und Mereika Schulz den Fokus daher vom Parodieren der Privilegien weißer Männer hin zu einer Darstellung der Privilegien von Menschen ohne Behinderung.
Gerne wird in Deutschland zwischen der sogenannten Freien Theaterszene und den Stadttheatern unterschieden, wobei die freie Szene einerseits unhierarchischere, flexiblere Strukturen aufweist und andererseits meist mit chronischer Unterfinanzierung zu kämpfen hat. Franziska Werner ist seit 2011 die künstlerische Leiterin der Sophiensäle, eines der wichtigsten freien Theaterhäuser im deutschsprachigen Raum.
Kunstdomäne soll sich selbst hinterfragen
Im Interview erläutert sie, inwiefern die freie Szene andere Darstellungsmöglichkeiten bietet als das Stadttheater, insbesondere auch dann, wenn es um feministische Themen geht. Eine Kunstdomäne, die sich als progressiv versteht, solle zu allererst ihre eigenen Strukturen hinterfragen, meint sie: "Es ist ja immer noch so: 80 Prozent oder 75 Prozent der Inszenierungen in Stadttheaterhäusern werden von Männern gemacht, die Frauen kommen eher in den dienenden Positionen vor. Auf beiden Seiten muss das thematisiert und darüber reflektiert werden. Nur so passiert da hoffentlich eine Veränderung."