Geschichte des Hörspiels: 1960 bis heute

"Pophörspiele" - Buchrezension

09:08 Minuten
Book Review - Wooden 3D rendered letters/message. Can be used for an online banner ad or a print postcard.
. © imago
Von Ulrich Bassenge |
Audio herunterladen
Auf seinem Streifzug durch die Hörspiel-Vergangenheit ist Ulrich Bassenge auf das "Pophörspiel" gestoßen. Anhand des neu erschienenen Buches zum Thema, das von Stefan Greif und Nils Lehnert herausgegeben wurde, beleuchtet er die faszinierende Beziehung zwischen Hörspiel und Pop.
Wann hörte Popmusik auf, etwas zu bedeuten? Vielleicht, als das Feuilleton anfing, die neue Kylie Minogue zu rezensieren. Man könnte entgegnen: davon geht doch kein Genre kaputt. Popmusik löst doch immer noch etwas aus, sagen Sie. Ja, vielleicht bei Ihrer Generation. Oder bei meiner. Der Soundtrack der eigenen Jugend oder sowas. Rebellion. Direktoratsverweis. Erster Sex. Meinen Kindern bedeutet Pop nichts.
Ausschnitt: "Ich mach keine Musik mehr. Ich bin irgendwie alt. Es ist vorbei. Es will auch keiner mehr Musik hören. Meine Tochter hört nicht Musik. Die hört irgendeine Spotify-Playlist. DAS ist Musik!? Das ist doch Scheiße."
Können wir mal zum Thema kommen, sagen Sie. Wir sind schon mittendrin. Ein Buch ist erschienen. Es heißt "Pophörspiele" und es ist nicht das erste seiner Art. 2018 legte Günter Rinke sein Buch "Das Pophörspiel – Definition. Funktion. Typologie" vor. Darin stellte er Kriterien auf, an denen sich auch diese fast gleich betitelte Publikation - herausgegeben von Stefan Greif und Nils Lehnert - abarbeitet. Das Buch gehört zur Gattung der von mir geschätzten interdisziplinären Reader. Fest verankert im germanistischen Lager versucht man den Schulterschluss mit Theater- Musik- und Kulturwissenschaft sowie mit Hörspielautoren. In 20 Essays wird das beherzte Einmannunternehmen Günter Rinkes weiterentwickelt. Und hier stellt sich die Eingangsfrage: Hat man sich im Vorfeld darauf geeinigt, was denn nun eigentlich ein Pophörspiel ausmache?
Zuspiel
Meine Antwort: Ein Pophörspiel ist zuallererst ein Ding der Geschichte. Genau wie Pop hat auch das Pop-Hörspiel seine Bedeutung verloren. Wir sprechen von einer vergangenen Epoche. Und gleich noch von den Kriterien.
Die Antwort des Buches: nein, man hat sich nicht festgelegt. Man hat es weitestgehend den Autoren überlassen, Definitionen aufzustellen, zu ignorieren oder auf eigene Faust Indizien zu suchen. Kann man so machen. Ich habe mit dem Buch gerungen, da ich mit vielem nicht konform gehe. Das ist aber keine schlechte Sache. Und ich habe wesentlich mehr über das Thema nachgedacht als vor der Lektüre.
Ein Pophörspiel könnte es zum Beispiel ein, wenn es sich in einem populären Verweissystem abspielt. Wenn popkulturelle Stereotypen benutzt und verknüpft werden. Vampirfilme bei Edgar Lipki. Exploitationkino bei Buttgereit oder Bassenge. Die Hiphop-Kultur beim frühen Paul Plamper. Oder sind die medienkritischen Ansätze, das Abbilden von Kino und anderen Massenmedien der Popansatz?
Oder ist Ihr Hörspiel Pop, wenn die Musik die ganze Zeit spielt? Dann könnte es auch eine Oper sein. Die ist bekanntlich erst vorbei, wenn die dicke Frau oder der dicke Mann den Mund zumacht. Bei Stefan Weigls "Stripped" zieht sich ein House-Soundtrack durch. "Der Mann im Fahrstuhl" von Heiner Goebbels und Heiner Müller besteht eigentlich aus Songs. Wolf Wondratschek schrieb einen Beatles-Song ins Manuskript, der in voller Länge ausgespielt wurde.
Für mich ist unabdingbares Pop-Kriterium eine Haltung des Nicht-Dazugehörens.
Die sich als das Andere, das Außenseiterische definiert: otherness. Später queerness. Antibürgerlich nennen das manche Autoren. Pop soll diese Atmosphäre im Hörspiel definieren und Zeitgenossenschaft ausdrücken: die Beatles und Wondratschek. Soft Machine und Brinkmann.
Zuspiel
Lassen Sie es mich so sagen: Pop hat den Sound ins Hörspiel gebracht. Zwar strebte auch der Sprachflow des Neuen Hörspiels vom Text zum Klang. Andererseits waren die Autor*innen des Neuen Hörspiels durchaus über Pop informiert. Ernst Jandl wurde 1965 in der Royal Albert Hall mit seinen eruptiven Sprachkaskaden von einem jugendlichen Londoner Publikum gefeiert wie ein Rockstar.
Also Sound. Der Sound muss anders sein. Der Sound hat immer recht. In dem Moment, wo hoher Ton oder Volksbühnen-Sprech passieren, ist dieser Sound in Gefahr. Sound ist ein Code. Das heißt: er wird niemals von allen verstanden. Freejazz wurde nicht für ältere weiße Theaterbesucher gespielt, auch mit Hiphop oder Techno waren anfangs weder das Bildungsbürgertum gemeint noch die braven Leute, die zur Arbeit fahren und in den Betrieben schuften.
Popsensibilität ist ein ominöses Ding. Jung sein hilft auf jeden Fall schon mal.
Zuspiel
Hörspiel und Pop haben eine Gemeinsamkeit: die Studiogebundenheit. Die Verwendung von Geräten. Die Ausstellung der Apparate, seien es Vocoder, Hall- und Echogerät, Tonhöhenkorrektur oder einfach das Mischpult mit seinen radikalen klanglichen Eingriffsmöglichkeiten durch Filter oder Verstärkung. Eine Zeitlang liefen hier sogar die Entwicklungen in der ernsten Musik und in der Pop-Produktion parallel. Während Les Paul mit Mary Ford in New York an Mehrspuraufnahmen dokterte, zweckentfremdeten im transatlantischen Köln Herbert Eimert, Karlheinz Stockhausen und ihre Techniker Messgeräte zu Klanggeneratoren. Im Radio flossen diese Entwicklungen zusammen und irgendwann - früher oder später - kam die elektronische Musik ebenso wie - deutlich später - das Mehrspurtonband im Hörspiel an.
Zuspiel
Hörspiel kann Verfahren des Pop übernehmen. Pop kann ein Verfahren im Hörspiel sein. Pop kann bedeuten, dass ein Hörspiel wie ein Album - früher hätte man gesagt, eine Platte - produziert wird. Pop ist selbstreferentiell. Er kann über sich selbst sprechen, über seine Medialität. Er kann Namedropping betreiben, sich selbst antworten, seinem Echo lauschen, wie in den answer records, die seit Beginn der Tonaufzeichnung grassieren. King Of The Road - Queen of the House. Back In The USSR. Back In The USA. The Girl Is Mine. The Boy Is Mine. The Kids Are Alright. The Kids Aren't Alright. "They're Coming to Take Me Away, Ha-Haaa!" von Napoleon XIV erfuhr eine Antwort von Josephine XIV: "I'm Happy They Took You Away, Ha-Haaa!". Im Rap kennt man Diss Tracks. Wahrscheinlich gab es schon Spottlieder auf die allerersten Balladen, aber die technische Vervielfältigung hat dem neue Möglichkeiten hinzugefügt.
Pop ist bei allem Hochglanz und production value immer mehr Prozess als Produkt. Kein Popsong, der sich nicht in einem Remix oder einer Coverversion transzendieren ließe. Viel von dieser immanenten Flüchtigkeit hat mit dem Warencharakter des Pop zu tun. Stetig wird hier alter Wein in neue Schläuche verpackt, wie es ein Kulturpessimist formulieren würde. Und doch ist hier am Fließband eine besondere Art der Kreativität möglich. Auf dem Weg entstehen neue Technologien oder werden bereits existierende durch phantasievolle Fehlbedienung neu definiert.
Zuspiel
Kommen wir zum Fazit: Die Literaturwissenschaft hatte sich ja Ende der 1970er vom Hörspiel zurückgezogen, möglicherweise im selben Maß, in dem die Klanglichkeit im Hörspiel in den Vordergrund rückte oder anders gesagt, sich das Hörspiel seines Sounds bewusst wurde. Insofern begrüße ich dieses Unterfangen. Mir hat dieses Buch gestattet, umherzuschweifen. Noch lieber mit Stichwortverzeichnis. Vielleicht in der zweiten Auflage? Für alles, was ich Ihnen erzählt habe, finden Sie Belege oder auch nicht. Eine Auseinandersetzung mit "Pophörspiele" könnte Ihnen einen neuen Blickwinkel eröffnen. Wie alle Beziehungen ist auch die zwischen Hörspiel und Pop keine Einbahnstraße.