Manuel Gogos im Dreierpack

Von der Überwindung der Schüchternheit

Manuel Gogos
© Manuel Gogos
Von Klaus Pilger |
Freistil widmet sich im April mit drei Sendungen dem Werk von Autor, Kurator und Filmemacher Manuel Gogos, dessen große Liebe dem Hörfunk gilt.
Früher hat Manuel Gogos mal Philosophie und Germanistik studiert. Über seine Doktorarbeit „Philip Roth & Söhne“ hieß es in der FAZ: „Gogos ist nie theorielastig, nie akademisch, nie langweilig. Er ist kühn, belesen und witzig und schreckt vor keiner Verallgemeinerung zurück. Man darf das Buch nicht bierernst als einen auf Wahrheitsfindung gerichteten Text lesen, sondern als brillante Parodie auf die Literaturkritik."
So fand Manuel Gogos, Jahrgang 1970, zum Feuilleton. Er schrieb erst als Literaturkritiker für die „Tageszeitung“ in Berlin und die „Neue Zürcher Zeitung“ über Saul Bellow oder Feridun Zaimoglu. Seit 2005 macht er Features fürs Radio.

Nie ohne Aufnahmegerät

Manuel Gogos ist ein eher schüchterner Mensch, aber für seine Features schreckt er vor nichts zurück. Das Aufnahmegerät hatte er sogar bei der Beerdigung seines Vaters dabei. Er reiste in die Hafenstadt Kavala, von wo sein Vater einst als griechischer Gastarbeiter nach Deutschland aufgebrochen war. Manuel Gogos betrieb dort seine „RePAPAraturen“, mit der Bibel des Vaters in der Hand und dem Geschmack von Dörrfleisch auf der Zunge - all das kann man in seinem Feature „Vaterhunger“ von 2015 hören.
Letzte Dinge scheinen Manuel Gogos auch über den familiären Rahmen hinaus zu interessieren. In seinem Feature „Loved and Lost“ beschreibt er die besinnungslose Trauer des Sängers Nick Cave nach dem tragischen Tod seines 15-jährigen Sohnes Arthur (er stürzte von einem hohen Kreidefelsen) und wie Nick Cave diese Trauer in seiner Musik verarbeitet hat.

Kurator und Filmemacher

Immer wieder widmet sich Manuel Gogos in seinen Features der Musik. Zum Beispiel in „Das Lied von Manuel“ (SWR 2020), wo er erzählt, wie er, Jahrgang 1970, als Kind eifrig zuguckte, wenn Dieter Thomas Heck in seiner ZDF-Hitparade lautstark die großen Schlagerhits präsentierte. Wie sich das Gastarbeiter-Kind wunderte, wenn in „Der Stern von Mykonos”, „Akropolis Adieu”, „Griechischer Wein” über Griechenland gesungen wurde. Oder in seinem Feature „Rembetiko“ (DLF 2022), über den griechischen Blues, der mit seiner melancholischen Ausdruckskraft anderen Weltmusiken wie dem argentinischen Tango oder dem portugiesischen Fado in nichts nachsteht.
Auch als Filmemacher ist Manuel Gogos unterwegs, zum Beispiel mit„Unter Fremden: Reise zu Europas Neuen Rechten“ (Arte, 2017), oder mit einer Reportage über den Völkermord an Herero und Nama in Namibia (Arte 2022). Außerdem ist Manuel Gogos mit seiner „Agentur für geistige Gastarbeit“ als freier Kurator tätig, zuletzt für das Humboldt-Forum in Berlin und das Museum Ludwig in Köln.

Große Liebe Hörfunk

Seine große Liebe gilt aber dem Hörfunk, über 70 Features hat Manuel Gogos bis heute für den Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur, den WDR und den SWR geschrieben. Dafür besuchte er einsame „Lost Spaces“ oder stürzte sich ins Getümmel. Mit wenig Berührungsängsten, dabei aber doch mit einem Gefühl für Diskretion. Als Reporter lernte Manuel Gogos seine Schüchternheit zu überwinden, sprach mit Lastwagenfahrern, Trauerbegleitern und Karaokesängern.
Manuel Gogos beutet gnadenlos seine eigene Lebensgeschichte aus: ob als Gastarbeiterkind oder als ehemaliger Waver, ob als Opfer der Schlager-Musik oder als Zen-Buddhist. Warum sollten wir uns für seine persönlichen Geschichten interessieren? Weil sie sehr welthaltig sind. Und weil sie gut geschrieben sind. Wie zum Beispiel die drei Arbeitsproben, die wir von ihm ausgewählt haben.
Morrissey kam nur bis Gummersbach – Der Soundtrack meines Lebens (2013) wird am 16. April 2023 ausgestrahlt.
1983 veröffentlichten The Smiths – Lieblinge der englischen Postpunk- und Independent-Szene – ihre erste Single. Mit seinem theatralischen Gesang und seinem Charisma wurde ihr Frontmann Morrissey zur Kultfigur. Auch für eine New-Wave-Clique in der Oberbergischen Provinz, wo sich um das „Plümmels-Café“ in Gummersbach Mitte der 1980er-Jahre stilbewusste Halbstarke versammelten, deren Leben sich durch die Musik von The Cure, Depeche Mode oder The Smiths dramatisch veränderte. Ob in der City-Bahn zum Kaufhaus Kilo in der Kölner Ehrenstraße, bei Schäferstündchen in der Tiefgarage oder beim Pogo mit Gipsbein: Die Musik wird zum Soundtrack des Lebens der „Generation Walkman“. Das Feature erzählt die Geschichte dieser Clique, die mithilfe von Facebook noch einmal aus allen Himmelsrichtungen zusammengetrommelt wird. Was ist aus den New Wavern aus Gummersbach geworden?
Flow - Wenn alles im Fluss ist (2014) ist am 23. April 2023 im Programm.
Im Flow zu sein bedeutet, völlig im Einklang zu sein mit einer Tätigkeit, die sich selbst zum Ziel hat. Flow ist die Lust des reibungslosen Ablaufs, ist Schaffens- und Tätigkeitsrausch genau im richtigen Turnus zwischen Über- und Unterforderung. In seinem Stück „Flow“ beginnt Manuel Gogos seinen heimlichen roten Ich-Faden zu legen. Erzählt davon, wie er als Achtjähriger auf der Schaukel, auf das Nachbarsmädchen wartend, seine ersten eigenen Flow-Zustände hatte, und später dann auf dem Crosstrainer oder bei der Zen-Mediation. Aber er horcht auch gewissenhaft auf einen Musiker und einen Tanzlehrer, einen Sportler, einen Philosophen und eine Schriftstellerin, welche Flow-Zustände sie erleben. Wie er diese Stimmen und Erfahrungen in einen guten Flow gebracht habe, das sei „selbst Kunst“, hat ihm die Schriftstellerin hinterher geschrieben.
Im Sommer 1970 tingelt der junge Schlagzeuger Daisuke Inoue durch die japanische Provinz. Für saketrunkene Firmenchefs erfindet er das Mitsinggerät – einen rot-weissen Holzkasten mit Kassettenrecorder und Gitarrenverstärker – das Karaoke ist geboren. 1998 kommt Ron Rineck, gerade in New York karaokesüchtig geworden, nach Berlin. Mit seiner ersten eigenen Karaokemaschine schlägt der Punk voll in der Berliner Hausbesetzer-Szene ein. Heute lädt er in der Kult-Karaoke-Bar „Monster Ronsons Ichiban Karaoke“ die Berliner Promiszene zum Chillout. Ob in Karaokebars oder beim Privatkaraoke zu Hause: Das Feature spürt jener schieren Lust nach, vor und mit anderen Menschen zu singen. Einer Lust, die auch gnadenlos sein kann. Wenn der Reporter in einer Karaoke-Box mit fremden Menschen lauthals mitsingt (undenkbar in Post-Corona-Zeiten) - und sich natürlich auch gnadenlos nicht die Peinlichkeiten seines Bühnenauftritts erspart. Alles für die Kunst! Und natürlich für die Hörerinnen und Hörer.