Das Klangkunst-Projekt "You Will Go Away One Day But I Will Not"
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Die Künstlerin Maria Thereza Alves und die Komponistin Lucrecia Dalt haben mit ihrer Sound-Installation im Berliner Botanischen Garten ein faszinierendes Hörerlebnis geschaffen, das die Besucher in die Klangwelt des brasilianischen Urwalds eintauchen ließ und nun seinen Weg ins Radio gefunden hat. Klangkunst-Redakteur Marcus Gammel über ein außergewöhnliches akustisches Experiment.
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Was sich hier im Hintergrund abspielt, ist ein kleiner Vorgeschmack auf ein ganz besonderes Hörerlebnis, das am 6. März im Deutschlandfunk Kultur Premiere haben wird und gleichzeitig auch ein akustischer Rückblick auf die außergewöhnliche Sound-Installation, die diesem Stück zugrunde liegt.
Im Rahmen der Veranstaltung "Natur. Nach Humboldt" hatten die Besucher des Berliner Botanischen Gartens vom 24. Januar bis zum 16. Februar Gelegenheit, eine faszinierende 360° Klangausstellung zu erleben; "You Will Go Away One Day But I Will Not", so der Titel.
Auf der Suche nach indigenen Namen der traditionell lateinisch benannten Pflanzen des botanischen Gartens haben die Komponistin Lucrecia Dalt und die Künstlerin Maria Thereza Alves mit Naturklängen, Stimmen und Gesängen des tropischen Regenwaldes ein lebendiges "3D Hörgemälde" geschaffen; mit Kopfhörern ausgerüstet konnte man durch das große Tropenhaus spazieren und dank einer speziellen Audio-Technik in individuelle Klangräume eintauchen.
Die Idee zur Ausstellung und zum gleichnamigen Hörstück geht ebenfalls auf ein Gemälde zurück, wie uns Klangkunst-Redakteur Marcus Gammel erzählt.
Marcus Gammel: "Also am Anfang des Projektes stand das Jahresthema der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Das heißt "Natur-Gemälde" und lehnt sich an an das berühmte Gemälde der Anden von Humboldt, wo es eben um die Klimazonen geht, wo es eine erste Darstellung von Organismen in verschiedenen Höhenregionen, aber auch kulturellen Aspekten, Pflanzen und so weiter in so einer Art Querschnitt gibt. Und dazu kam das Jahresthema der Denkfabrik von Deutschlandradio; das heißt "Eine Welt 2.0 - Dekolonisiert euch!". Und diese Schnittmenge gab es, und dann gab es weitere Partner. Dann gab es bald den Botanischen Garten und das CTM Festival. Und die Kopfhörer-Technologie usomo, die eine virtuelle Audio-Erfahrung in Räumen ermöglicht."
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Marcus Gammel: "Und dann kamen die beiden Künstlerinnen dazu María Thereza Alves und Lucrecia Dalt, und María Thereza Alves arbeitet schon lange mit einer Guarani-Community, einer Gemeinschaft von indigenen Menschen in Brasilien. Und ihr war aufgefallen, dass im Botanischen Garten die Pflanzen eben immer so Schilder haben mit lateinischen Namen. Und in diesen lateinischen Namen sind oft Namen von europäischen Forschern verewigt. Und sie wollte gerne die indigene Perspektive auf die Pflanzen stärken und uns auch noch einmal hier in Europa zu Bewusstsein bringen. Und hat eben diese Guarani Community gebeten, traditionelle Namen und zum Teil auch neue Namen zu benennen von diesen Pflanzen. Und das haben sie getan im Rahmen einer kleinen Zeremonie, auch mit Gesängen. Und diese Gesänge haben sie aufgenommen, nach Berlin geschickt, und Lucrecia Dalt hat das dann angereichert mit weiteren Klängen, mit auch anderen Liedern aus der ganzen Welt, die sich mit Pflanzen beschäftigen und mit Field Recordings, mit Naturgeräuschen und daraus eben so eine dreidimensionale Hörerfahrung gemacht."
Für die Sound-Installation im Tropenhaus wurden die einzelnen Pflanzen mit zusätzlichen roten Schildchen ausgestattet, auf denen die indigenen Namensgebungen zu lesen waren, die individuellen Besucherbewegungen steuerten dann das Klangerlebnis.
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Marcus Gammel: "Sobald man sich so einem Schildchen nähert, merkt man: Hier hör ich was, also man hört ständig was, es gibt ständig so eine Atmo und auch verschiedene Ereignisse, kleine Insekten, die durchfliegen. Aber an diesen Schildern sind eben diese Stimmen platziert. Und wenn man sich dazu bewegt, merkt man: Der Klang bleibt immer an dieser Stelle. Man kann den Kopf drehen, man kann sich wegbewegen, dann wird er leiser. Man kommt dann auch noch in so kleine, sagen wir mal, Enklaven, wo ganz was anderes passiert, wo plötzlich es regnet oder wo plötzlich die ganze Atmo abreißt und ich mich in noch einmal in einer anderen Stimmen-Umgebung befinde. Das sind Stimmen von Menschen mit nicht-kolonialen Sprachen, die den Titel des Stückes wiedergeben, jeweils in ihrer Sprache. "You will go away one day, but I will not." Also, du wirst eines Tages fortgehen, aber ich nicht. Das ist tatsächlich Teil eines Namens, den die Guarani für eine bestimmte Pflanze vergeben haben. Und den haben sie genommen, als Übertitel für das ganze Stück."
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Marcus Gammel: "Auch damit gibt es so kleine Blasen in der räumlichen Erfahrung vor Ort, und für die Radio-Fassung hat Lucrezia Dalt tatsächlich einen Rundgang durch ihre eigene Installation unternommen und den aufgenommen. Also als Hörer/in am Radio geht man sozusagen virtuell durch das Tropenhaus, sieht es natürlich nicht, kann aber dafür umso mehr sich vorstellen von der Umgebung, die zu diesen Klängen gehören könnte."
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Den Künstlerinnen geht es bei ihrer Arbeit nicht nur darum, an die verheerenden Folgen europäischer Kolonisation zu erinnern, es ist ihnen auch ein großes Anliegen, Aufmerksamkeit auf die heutige Situation der Indigenen in Brasilien zu lenken, die sich durch die drastischen Maßnahmen der Regierung Bolsonaros massiv verschlechtert hat.
Marcus Gammel: "Also gerade die Guarani-Gemeinschaft, die leben in einem Reservat, weitab von der traditionellen Regenwald-Welt, mit der ihre Kultur verbunden ist. Und natürlich haben sie Erinnerungen und Traditionen, die noch damit in Verbindung stehen. Aber sie sind eben abgeschnitten von dieser Quelle und sobald sie versuchen, für ihre Rechte einzutreten, wird ihnen in vielen Fällen Gewalt angetan. Es gibt immer wieder Tote, ungeklärte Mordfälle, die man relativ leicht zum Teil auf die Regierung, zum Teil auf wirtschaftliche Interessen zurückführen kann in dieser Region. Das Stück ist ja kein kein historischer Flashback, wir gehen ja nicht zurück in die Kolonialzeit, sondern wir wollen eigentlich nach vorne gehen, in eine dekolonisierte Zeit, wo verschiedene Sichtweisen auf Natur gleichberechtigt nebeneinander stehen können, wo eine wissenschaftliche, sehr systematische, europäisch geprägte Sichtweise neben einer indigenen, vielleicht mythisch geprägten oder mit anderen Formen von Wissen verbundenen Sichtweise steht. Und das ist, glaube ich, das, was man erleben kann in dem Hörstück. Es geht um einen Blick nach vorne. Und es geht vor allem darum, in der Zukunft es besser zu machen."
Hier sei abschließend auch noch einmal auf die Zukunft verwiesen, am 6. März um 00:05 können Sie "You Will Go Away One Day But I Will Not" im Deutschlandfunk Kultur in der Sendung Klangkunst hören; um dieses besondere 360° Sounderlebnis in allen Facetten genießen zu können, nehmen Sie doch ihre Kopfhörer mit in den Urwald.