Klangerzählung über Mikroben und Schamanismus

The Forest Within – Within the Forest

57:36 Minuten
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© Andrea Nicolò
Von Islands Songs |
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Ein kolumbianischer Biologe legt nahe, dass Schamanen in Südamerika nicht mit „Geistern“ und „Seelen“ kommunizieren, sondern mit mikrobiellen Ökosystemen. Daraus entwickelt das Duo Islands Songs eine fabulative Klangerzählung.
Mehr als 50 Prozent der menschlichen Körperzellen sind Mikroorganismen. Jüngste Forschungen zeigen: Die Zellen sind sozial und kommunizieren sogar. Und dennoch bleiben sie rätselhaft.
Doch nicht für alle. Der kolumbianische Anthropologe und Biologe César Enrique Giraldo Herrera legt nahe, dass jene Wesen, mit denen Schamanen im Tiefland Südamerikas interagieren, weitaus mehr mit mikrobieller Ökologie gemein haben als mit den Begriffen "Geister" und "Seelen", die von christlichen Missionaren während der Kolonialisierung eingeführt wurden.
Gemeinsam mit Giraldo Herrara entwickelt das Duo Islands Songs eine fabulative Klangerzählung über den "inneren Wald".

The Forest Within – Within the Forest
Von Islands Songs
Komposition: Islands Songs (Silvia Ploner & Nicolas Perret)
Text: César Enrique Giraldo Herrera, Islands Songs
Regie: Roman Neumann
Mit: Anne Müller, Florens Schmidt

Mischung: Philippe Charriot

Produktion: Autorenproduktion für Deutschlandfunk Kultur 2019
Länge: 57'52

Eine Wiederholung vom 17. September 2019

Besonderer Dank an: Acitam (Asociación de Cabildos Indígenas del Trapecio Amazónico, Leticia), Aticoya (Asociación indígena Tikuna, Cocama y Yagua de Puerto Nariño), Archipel Productions, ar/ge kunst, Casimiro Ahue, Camilo Giraldo Angel, Miguel Bajo, José Becerra, Felix Blume, Fabian Brinkmann, Enrico Centonze, Charo Calvo, Isabella von Dellemann, Elektronisches Studio TU Berlin, Pierre-Yves Gauthier, Daniela Gomez, Emanuele Guidi, Maria del Mar, Rodolfo Mesa Morales, William Mozombite, Catalina Ramos, Reserva Natural Tanimboca, Leticia und die Menschen von El Progreso, Puerto Nariño und San Martín de Amacayacu.
Mit freundlicher Unterstützung der Südtiroler Landesregierung, Abteilung Deutsche Kultur.

Islands Songs ist ein Künstlerduo aus Silvia Ploner, geboren 1982 in Innichen/Italien und Nicolas Perret, geboren 1978 in Nizza/Frankreich. Seit 2011 untersuchen sie unbekannte und mysteriöse Klangumgebungen und Klangphänomene. Zuletzt für DKultur: "Nýey" (2014).

"Wir müssen die Psychoanalyse völlig überdenken"

Mikroben sind überall. Allein im Körper des Menschen leben mehr Mikroben als Körperzellen. Was wäre, wenn wir mit ihnen kommunizieren könnten? Wie weit bestimmt unser Mikrobiom über uns? Und wie macht man daraus ein Hörstück?
Nicolas Perret und Silvia Ploner mit Kopfhörern
Das Island Songs Duo: Nicolas Perret und Silvia Ploner© Foto: Thomas Niedermayr / Hof Gandberg 2018
Silvia Ploner vom Künstlerduo Islands Songs im Gespräch mit Golo Föllmer
Deutschlandfunk Kultur: Mikroorganismen wie etwa Bakterien, Pilze und Algen bevölkern die Erde schon viel länger als Menschen, Tiere und Pflanzen. Sie machen weit mehr als die Hälfte der gesamten Biomasse des Planeten aus, und sogar im Körper des Menschen ist die Anzahl der Mikroben mindestens genauso hoch wie die der eigenen Körperzellen. Mikroorganismen sind überall, und sie sind ein Teil von uns. Ihr Hörstück "The Forest Within - Within the Forest" basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen - auf welchen?
Silvia Ploner: Mikrobiologen haben erst in den 1990ern beobachtet, dass eine Kommunikation zwischen Bakterien und Mikroben stattfindet. Und sie haben herausbekommen, dass sie das über Bioluminiszenz tun, also Licht, und über Vibration, also Klang!
Deutschlandfunk Kultur: Kann der Mensch damit etwas anfangen? Kann er diese Kommunikation wahrnehmen? Kann er sich gar einmischen, also mit Mikroben sprechen? Im Regenwald des Amazonas haben Sie mit Hilfe eines Wissenschaftlers Hinweise gefunden, dass das möglich sein könnte.
Silvia Ploner: Die Arbeit des Anthropologen César Giraldo Herrera setzt genau da an: Er geht durch anthropologische Literatur, indigene Mythen, er geht durch Interviews mit bekannten Schamanen, er hat Feldforschung betrieben. Und er sagt, dass die Beschreibungen, die Schamanen von den Wesen geben, mit denen sie verhandeln, der Beschreibung von Bakterien gleichen. Sie sprechen von Wesen, die am Anfang aller Zeit waren, die unsterblich sind, die verantwortlich sind für Fermentation, für Verwesung und manchmal auch Tod, die entscheiden können, ob sie uns leben oder sterben lassen, die in allem und überall vorhanden sind, die unsere Vorfahren sind.
Deutschlandfunk Kultur: Herreras Forschung haben Sie zum Ausgangspunkt einer Gedankenreise genommen und daraus eine Hörreise gemacht. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Silvia Ploner: Wir waren an einem Ort im kolumbianischen Amazonas-Regenwald, an dem sehr viele verschiedene Wesen leben, in kleiner Anzahl. Um in so einem Gebiet überleben zu können, muss man in der Lage sein, miteinander zu sprechen. Jäger sprechen mit Tieren, Fischer mit dem Wasser, Pharmazeuten oder Medizinherstellerinnen sprechen mit Pflanzen, und Schamanen - so die Theorie von César Giraldo Herrera - sprechen mit Mikroben oder mit Cemies, wie sie sie nennen.
Deutschlandfunk Kultur: In Südamerika gibt es neben Schamanen auch Heilmittelkundler, die zum Beispiel ein komplexes Mittel gegen den Syphillis-Erreger herstellen können. Wie kommen sie zu ihrem Wissen über pflanzliche Heilmittel?
Silvia Ploner: Spricht man mit ihnen, sagen sie: Die Pflanze hat's mir gesagt. Das ist für unser Verständnis eine wahnsinnig schwer zu akzeptierende Aussage. Nichtsdestotrotz bedeutet es nicht, dass es nicht wahr sein kann! Es gibt zum Beispiel eine Mikrobe, die eine Maus dazu bringt, sich in eine Katze zu verlieben, und sich der Katze zum Fressen hinzugeben, damit sie in den größeren Körper wandern und dort weiter wachsen kann. Um das zu erreichen, bewirkt die Mikrobe, dass die Maus Pheromone aussendet, die die Katze anziehen. Gleichzeitig denkt die Maus aber, dass die Katze ihr gegenüber freundlich ist. Wie das funktioniert, da sind wir völlig am Anfang, wissenschaftlich gesehen.
Deutschlandfunk Kultur: Wie weit kann das gehen? Können auch Menschen von Mikroben derart vereinnahmt werden?
Silvia Ploner: Ich glaube daran, dass unser Mikrobiom uns bestimmen kann, wenn wir davon ausgehen, dass das denkende und handelnde Wesen sind. Und wenn unser Mikrobiom 80% von uns ausmacht, dann müssten wir letztlich auch die Psychoanalyse völlig überdenken.
Deutschlandfunk Kultur: Ist das der Grund, weswegen Sie in Ihrem Hörstück so wenig behaupten und sich mehr im Bereich der Spekulation bewegen?
Silvia Ploner: Die Idee in der Komposition war es, keine klare Antwort zu geben. Der Zuhörer oder die Zuhörerin soll nicht wissen, wer wann spricht: Ist es ein Tier, ist es der Schamane, ist es der Jäger, sind es Mikroben, sind es Radiowellen-Aufnahmen, die der mikrobischen oder bakteriellen Kommunikation nachgesagt werden? Mit unseren Stücken geht es uns nie darum, der einen Wahrheit nachzugehen oder die eine Wahrheit zu präsentieren. Wir wollen eine Grundlage zum Nachdenken schaffen.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben im Regenwald Kolumbiens Flora und Fauna aufgenommen, haben mit Schamanen, Jägern und Pflanzenkundlern gesprochen. In ihrem Studio wurden die Klänge dann verwandelt, zersetzt, fermentiert und rekomponiert. Wie sind Sie bei der Produktion vorgegangen?
Silvia Ploner: Die Basis sind immer Field Recordings. Wir jagen unsere Aufnahmen durch einen modularen Synthesizer. Die Synthesizer, mit denen wir arbeiten, haben wir für das Projekt bewusst gewählt, weil sie in der modularen Synthese auch unabhängig von uns agieren. Das heißt, wir geben ihnen Impulse, und wir lassen sie manchmal auch allein für eine Stunde. Zu dem Klang, den sie produziert haben, gehen wir ein bisschen wie in einen Wald, und erforschen, was dabei herauskam, wir schneiden, editieren. Aber das Grundmaterial entsteht immer aus dem Prozess.
Deutschlandfunk Kultur: Ist eine solche Kommunikation mit den Wesen und Dingen der Welt via Mikroben auch in unserer technisierten Welt vorstellbar?
Silvia Ploner: Ich würde nicht sagen, dass wir davon etwas komplett übernehmen müssen. Aber wir können, nein, wir dürfen nicht mehr ignorieren, dass wir achtsam sein müssen, dass es einen anderen Umgang mit der Welt gibt als unseren eigenen. Es ist keine Frage von ›Können wir etwas hierher transportieren?‹, sondern wir müssen unsere schnelle, kapitalisierte, objektorientierte Sicht oder unseren Umgang mit der Welt revidieren, wenn wir als Menschen weiter bestehen wollen.

Das Interview für Deutschlandfunk Kultur führte Golo Föllmer.