Wie war’s in China?
Über 10 Jahre lang hat der französische Musiker Laurent Jeanneau in China gelebt. Dort faszinierte ihn vor allem der Reichtum an traditionellen Musikformen und Instrumenten.
In China, aber auch in Kambodja, Laos und Vietnam war ich fasziniert vom Reichtum an Klängen und Musikformen der ethnischen Minderheiten. Mit Mikrofon und Rekorder reiste ich durch das Land und begann die Musik aufzuzeichnen. Eine Reihe von selbstverlegten CDs entstand.
Das Hörstück "Wie war’s in China?" hat drei Elemente: Mein privates Leben in China, mein Leben mit den Musiken des Landes und meine Arbeit als Komponist. Ausgewählt habe ich die Aufnahmen nach ihrer Schönheit. Das Problem ist: Diese Klänge lassen nichts erahnen von den Schwierigkeiten in China. Aber genau wegen dieser Schwierigkeiten habe ich das Land verlassen.
Das Hörstück "Wie war’s in China?" hat drei Elemente: Mein privates Leben in China, mein Leben mit den Musiken des Landes und meine Arbeit als Komponist. Ausgewählt habe ich die Aufnahmen nach ihrer Schönheit. Das Problem ist: Diese Klänge lassen nichts erahnen von den Schwierigkeiten in China. Aber genau wegen dieser Schwierigkeiten habe ich das Land verlassen.
Wie war’s in China?
Von Laurent Jeanneau
Autorenproduktion 2015
Länge: 55’35
Von Laurent Jeanneau
Autorenproduktion 2015
Länge: 55’35
Unterwegs mit dem Mikro
Für meine Aufnahmen habe ich meist nach den besten Sängerinnen und Musikern des jeweiligen Dorfes gefragt. Wenn das nicht half, dann versuchte ich mit den Leuten auf der Straße ins Gespräch zu kommen. Man unterhält sich, man lacht, man trinkt ein Gläschen oder zwei. Es entsteht eine freundschaftliche Atmosphäre und die Menschen beginnen zu singen.
Für meine Aufnahmen habe ich meist nach den besten Sängerinnen und Musikern des jeweiligen Dorfes gefragt. Wenn das nicht half, dann versuchte ich mit den Leuten auf der Straße ins Gespräch zu kommen. Man unterhält sich, man lacht, man trinkt ein Gläschen oder zwei. Es entsteht eine freundschaftliche Atmosphäre und die Menschen beginnen zu singen.
Die Dai sind eine ethnolinguistische Gruppe im Süden Yunnans. In einem Laden dort stieß ich auf die CD einer traditionellen Sängerin. Ich erkundigte mich nach ihrem Wohnort und fuhr hin. Obwohl die CD schon 15 Jahre alt war, wusste jeder im Ort, wen ich suche. Man führte mich zu ihr. Sie empfing mich sehr freundlich: "Bleib hier, Du kannst mir uns essen und hier übernachten. Morgen bin ich bei einer Zeremonie als Sängerin engagiert. Das kannst Du gerne aufnehmen." Das Fest begann um 9 Uhr Abends und dauerte bis 9 Uhr morgens. Die Sängerin bekam ständig kleine Zettel zugesteckt mit den Namen der Menschen, die sie besingen sollte. Sie pries ihre guten Taten und wurde mit Geldscheinen überhäuft. Ob man reich oder arm ist, man zeigt sich gern großzügig in China.
Mobiltelefone sind in China heute überall. Ich kann die Aufnahmen nicht mehr zählen, die durch ein klingelndes Handy unterbrochen wurden. Besonders eingeprägt hat sich mir das Bild eines Bauern: Mit hochgekrempelten Hosen, bis zu den Knien im Schlamm schob er seinen Büffel durch das Reisfeld. Plötzlich zog er sein klingelndes Handy aus der Tasche und ging ran.
Eine Straßenszene: Alte Frauen in traditioneller Kleidung haben einen Ghettoblaster aufgestellt und tanzen. Der Lautstärkeregler steht am Anschlag. Das hat Methode in ganz Asien. Es geht nicht darum, Musik zu hören, sondern darum, die bösen Geister zu vertreiben. Angeblich mögen sie keinen Lärm.
Auf den Märkten hat jeder Verkäufer einen kleinen Lautsprecher mit Mikro. Man nimmt seinen Werbeslogan auf und spielt ihn dann in Schleife ab, um Käufer anzulocken. Der ganze Markt ist also ein wildes Gewirr von Klängen. Selbst in den Wohnvierteln sind sie zu hören, wenn die Müllsammler kommen. Sie laufen mit einem typischen Singsang durch die Straßen und kaufen den Anwohnern ihren Müll ab, um ihn zu recyceln.
Wenn man in Europa chinesisch essen geht, bekommt man fast immer kantonesische Speisen serviert. Die kantonesische Küche ist aber eine der wenigen Kochtraditionen in China, die sparsam würzt. Ansonsten kocht man in China extrem scharf. Überall gibt es Chilifelder. Die Schoten werden in der Sonne getrocknet und mit einfachen Maschinen zerkleinert. Der Klang dieser Maschinen begleitet einen durch das ganze Land.
China im Umbruch
In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts gab es eine große Aufbruchsstimmung in China. Das Regime hatte noch nicht die technischen Mittel, um das Internet zu kontrollieren. Viele Menschen hofften, dass bald ähnliche Verhältnisse herrschen würden wie in Europa oder den USA. Meine Exfrau war eine von ihnen. Als Journalistin und Bloggerin konnte sie relativ frei publizieren.
In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts gab es eine große Aufbruchsstimmung in China. Das Regime hatte noch nicht die technischen Mittel, um das Internet zu kontrollieren. Viele Menschen hofften, dass bald ähnliche Verhältnisse herrschen würden wie in Europa oder den USA. Meine Exfrau war eine von ihnen. Als Journalistin und Bloggerin konnte sie relativ frei publizieren.
Die Stadt Dali war in den 00er Jahren auch ein Zufluchtsort für Intellektuelle. Das milde Klima und die niedrigen Lebenshaltungskosten zogen viele Künstler und Schriftsteller an. Darunter auch meine Exfrau, die in Dali ein kleines Café eröffnete. Hier wurden auch avantgardistische Theaterstücke aufgeführt. Sie bestanden meist aus einer Folge von unverbundenen Monologen. Die fehlenden Dialoge spiegelten die Vereinzelung in der chinesischen Gesellschaft.
Der große Umbruch kam mit den Olympischen Spielen 2008. Plötzlich wurde kein einziges Visum für Ausländer mehr verlängert. Das galt sogar, wenn man wie ich mit einer Chinesin verheiratet war. Glücklicherweise hatte ich kurz vor dem neuen Erlass ein sechsmonatiges Visum erhalten und konnte bleiben. Alle anderen um mich herum mussten verschwinden.
Gleichzeitig wurde die Kontrolle über das Internet verschärft – mit technologischer Hilfe von französischen und amerikanischen Firmen. Drei Jahre später setzte mein Nachbar einen Tweet über die Aufstände im arabischen Frühling ab. Er nutzte einen anonymisierten Twitter-Zugang über das Ausland. Trotzdem wurde er sofort verhaftet. Sechs Wochen lang hatte ich den Geheimdienst vor dem Haus. Zwölf Typen mit rasierten Schädeln und Generalschlüsseln für alle Türen. Wenn die etwas wollen, klingeln sie nicht. Sie kommen einfach rein.
Ich war LAO LO
Ich werde oft gefragt, ob ich in all den Jahren zum Chinesen geworden bin. Meine Antwort ist: Man wird nie Chinese. Diese multikulturelle Vorstellung von Integration gibt es in China nicht. Die Gesellschaft geht davon aus, dass ein Ausländer aus einer radikal anderen Welt kommt. So anders, dass er keine Chance hat, sich je zu integrieren.
Ich werde oft gefragt, ob ich in all den Jahren zum Chinesen geworden bin. Meine Antwort ist: Man wird nie Chinese. Diese multikulturelle Vorstellung von Integration gibt es in China nicht. Die Gesellschaft geht davon aus, dass ein Ausländer aus einer radikal anderen Welt kommt. So anders, dass er keine Chance hat, sich je zu integrieren.
Im ganzen Orient gibt es die Angewohnheit, Menschen als Verwandte zu bezeichnen, die man gar nicht kennt. Bruder, Tante, Cousin. Mein Spitzname in China war Chouchou. Das bedeutet Onkel. Ansonsten nannte man mich LAO LO. Den Namen Laurent kann natürlich niemand aussprechen, weil ein r drin ist. Lao heißt alt, und das gilt für jeden über 40. Also war ich LAO LO.
Laurent Jeanneau, geboren 1965 in Fontainebleau, erforscht und dokumentiert traditionelle Musik ethnischer Minderheiten und bedrohter Völker in Kambodscha, Laos, Vietnam, Thailand und China. Als Komponist kombiniert er seine Fieldrecordings mit elektroakustischen Klängen. Seit 2014 lebt Jeanneau in Berlin.