Die Existenz der Haut (Ursendung)
Während Hitlers totaler Krieg in die Endphase geht, werden tausende Häftlinge vom KZ Buchenwald zum KZ Dachau verbracht. Der politische Gefangene Robert Antelme, Ehemann der Schriftstellerin Marguerite Duras, ist in einem der Waggons.
Seine Frau, die Schriftstellerin Marguerite Duras befindet sich zur gleichen Zeit in Paris im Widerstand und erlebt ihr Warten auf Robert als Ausnahmezustand. In ihren Protokollen entblößt sich Duras schonungslos als Opfer wie als Täterin und zeigt, wie der Krieg ihr eigenes und das Leben ihrer Nächsten irreversibel vergiftet und zersetzt.
"Ich erinnere mich plötzlich an etwas, das man mir über die Angst gesagt hat. Dass man im Maschinengewehrfeuer die Existenz seiner Haut wahrnimmt. Ein sechster Sinn, der zum Vorschein kommt."
Unter Verwendung von Zitaten aus Marguerite Duras Hefte aus "Kriegszeiten" und "Der Schmerz" sowie "Das Menschengeschlecht" von Robert Antelme
Aus der Collage:
Diese Berechnungen mache ich dreihundertmal am Tag:
Ein Finger für ein Stück Brot / Ein Finger / Zwei Finger für zwei Stück Brot /
Zwei Finger / Zehn Jahre meines Lebens, damit er noch zwei Jahre lebt /
Zehn Jahre meines Lebens / Alles ist immer möglich, da wir nichts wissen.
Zwei Finger / Zehn Jahre meines Lebens, damit er noch zwei Jahre lebt /
Zehn Jahre meines Lebens / Alles ist immer möglich, da wir nichts wissen.
Man glaubt, dies seien außergewöhnliche Dinge.
Es ist wie alles andere. Wie alles andere, es passiert einem.
Hinterher ist es einem dann passiert.
Es ist wie alles andere. Wie alles andere, es passiert einem.
Hinterher ist es einem dann passiert.
Komposition und Regie: die Autoren
Mit: Sibylle Canonica, Alice Dwyer, Trystan Pütter, Konstantin Bühler
Ton: Hermann Leppich
Produktion: Deutschlandradio Kultur 2014
Mit: Sibylle Canonica, Alice Dwyer, Trystan Pütter, Konstantin Bühler
Ton: Hermann Leppich
Produktion: Deutschlandradio Kultur 2014
Länge: 50:20'
Notiz der Autoren zur Hörcollage:
Erinnern an Krieg heißt für uns Erinnern an die Sprache des Krieges. Eine universelle Sprache mit zwei Gesichtern: Öffentliche Kriegsrhetorik, aus allen Rohren der Guten und der Bösen. Kriegssprache der großen und kleinen Männer. Zielgerichtet und gewiss.
Daneben unzählige zärtliche, empathische, kaum gesagte, mehr gedachte Sätze der Ungewissheit. Ungerichtet verlaufen sie sich im Sog der Ereignisse und werden von den Lautsprechern der Geschichte übertönt.
Duras' Kunst ist es, diese leise, vielleicht weiblichere Sprache zu retten und ihr Raum im Kriegsgeschrei zu geben. Ein Raum, den sie mit Angst, Hoffnung, Zweifel, Liebe, Zugewandtheit, Scheitern und mit allem füllt, was den Menschen trotz allem ausmacht, in Zeiten, wo das Menschliche abgeschafft werden soll, wo Kriegsrecht an die Stelle von Menschenrecht, Gewissheit an die Stelle von Ungewissheit tritt.
zeitblom (Georg Falk-Huber), geboren 1962, lebt als Komponist, Bassist, Produzent in Berlin. Christian Wittmann, geboren 1967, lebt als Schauspieler und Regisseur in Berlin.
Anschließend: Nachbeben. Die psychologischen Spätfolgen des 2. Weltkriegs in Deutschland. Ein Beitrag von Andrea Frey (vom 18.10.12, Länge: 28'38)