Die deutsch-jüdische Chansonsängerin Vivian Kanner
43:54 Minuten

Antisemitismus begegnet Vivian Kanner mit beißendem Humor. Die Chansonsängerin spielt in ihrem Bühnenprogramm mit den Klischees über Juden und zu ihrem Repertoire zählen auch viele jiddische Klassiker. Keinesfalls möchte die Münchnerin aber allein auf ihre jüdischen Wurzeln reduziert werden.
"An allem sind die Juden schuld" - Friedrich Hollaenders satirisches Lied aus den 1930er-Jahren interpretiert Vivian Kanner seit langer Zeit regelmäßig auf der Bühne – aus Überzeugung. Auch, wenn sie damit Irritation und Verunsicherung auslöst. Veranstalter, so erzählt sie in der Begegnung, hätten durchaus Bedenken, ob das Lied öffentlich gesungen werden dürfe. Viele Deutsche, so die Erfahrung Vivian Kanners, hätten noch nicht den richtigen Weg gefunden, mit den Verbrechen der Nazi-Zeit umzugehen. "Den Leuten fällt es sogar schwer, das Wort Jude ganz frei auszusprechen."
Ehre zum Jubiläumsjahr
Für eine aktuelle Comic-Antologie zum Thema Antisemitismus hat die Wahl-Berlinerin dem Hollaender-Klassiker einen zeitgenössischen Text verpasst. Darin werden "die Juden" nicht nur für das schlechte Wetter – wie im Original – verantwortlich gemacht, sondern auch für streikendes WLAN oder das verpatzte Tinder-Date.

Gekleidet in einem edlen Gehrock und mit streng gescheitelten Haaren wirkt Vivian Kanner wie ein Revuestar der Weimarer Republik.© Étienne Roeder
Neben jiddischen Liedern hat Vivian Kanner, die ihre Karriere als Schauspielerin begann, vor allem Chansons und Lieder jüdischer Komponisten der 1920er und 30er Jahre in ihrem Repertoire. Darunter auch das Lied "Irgendwo auf der Welt", komponiert vom ehemaligen Ufa-Direktor Werner Richard Heymann. Für den Festakt "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" durfte Vivian Kanner Anfang diesen Jahres eine originalgetreue Fassung aufnehmen. "Eine Ehre", wie sie im Gespräch erzählt, während sie in der Maske für die Fernsehaufnahmen geschminkt wird. Gekleidet in einem edlen Gehrock und mit streng gescheitelten Haaren wird sie später wie ein Revuestar der Weimarer Republik wirken. An ihrer Seite: ihr langjähriger Bühnenpartner und Akkordeonist Maxim Shagaev.

Stets ihrer Seite: Ihr langjähriger Bühnenpartner und Akkordeonist Maxim Shagaev© Étienne Roeder
Jiddische Klassiker als Publikumsmagnet
Die jiddische Sprache, so erinnert sich Vivian Kanner, habe ihre Kindheit in München geprägt – auch durch die Musik. "Nach einer Bar-Mizwa-Feier brachten meine Eltern mir die Schallplatte mit jiddischen Liedern, die ich bis heute habe." Ein Relikt dieser Zeit ist das Lied "Avreimel", das Kanner ebenfalls regelmäßig auf der Bühne singt. Ende der 1990er-Jahre feierte sie mit der Band "Gefillte Fish" Auftritte im Münchner Prinzregententheater und der Münchner Philharmonie und war immer wieder erstaunt, so erzählt sie, wie gut die jiddischen Klassiker beim Publikum ankamen: "Ich dachte erst, jiddische Lieder, das ist nur was für einschlägig Vorbestrafte, also: jüdische Menschen. Es hat mich sehr überrascht, wie viele Leute das hören wollten."

Auf der Bühne singt Vivian Kanner regelmäßig jiddische Lieder aus ihrer Kindheit© Étienne Roeder
Nicht aufs Jüdisch-Sein reduzieren
Als Künstlerin, so sagt Vivian Kanner, will sie aber nicht allein auf ihre jüdischen Wurzeln reduziert werden. Sie habe schon irritierende Anfragen zurückgewiesen, bei denen sie als Tochter eines Holocaust-Überlebenden engagiert werden sollte. "Mein Vater würde sich im Grabe umdrehen, wenn das das alleinige Auswahlkriterium für einen Job ist."
Dennoch hat Vivian Kanner über ihre Zeit auf der Bühne in den vergangenen Jahren eine Mission entwickelt: Sie will dem Publikum zeigen, was Jüdinnen und Juden geleistet haben. Sie sagt: "Juden haben der Menschheit soviel Gutes gegeben – ihren Humor, für die Wissenschaft, die Kultur und die Musik."
Erstsendedatum 21.05.2021