Kunstzentrum in St. Petersburg

Von Anarchie und Kapitalismus

Der Hof des Kunstzentrums.
Der Hof des Kunstzentrums. © Pauline Tillmann
Von Pauline Tillmann |
Es war 1989 - die Zeit von Perestroika und Glasnost -, als erste Gebäude im Zentrum von St. Petersburg von autonomen Künstlern besetzt wurden. Sie kamen und blieben bis heute. Genauso wie das Kunstzentrum "Puschkinskaja 10". Ein "Staat im Staat" mit eigenen Regeln. Innere Grenzen darf es - anders als in der heutigen russischen Gesellschaft - nicht geben.
Bis heute ist das Haus in der Puschkinstraße ein Synonym für Anarchie, für nonkonformistische Kunst und damit auch für Widerstand gegen die Staatsmacht. Boris Grebenschtschikow, der aus der Hausbesetzergeneration stammende russische Rockstar und Leadsänger der bekannten Band Aquarium, hat dort bis heute ein Atelier, aber auch weniger bekannte Künstler leben und arbeiten in dem Kunstzentrum. Sie beschäftigen sich mit experimenteller Musik, Fotografie, Bildhauerei, Malerei, Zeichnung und Grafik und versuchen gegen alle Formierungsversuche ihre Autonomie zu behaupten.
1998 wurden die Besetzer zu Besitzern: Seitdem gehört ihnen das Zentrum mit 4.100 Quadratmetern. Vize-Präsident Sergej Kovalsky bezeichnet es gerne als "Staat im Staat", mit schrägen Menschen und eigenen Regeln. Die wichtigste lautet: Freiheit und Autonomie. Jeder darf so sein, wie er möchte. Innere Grenzen darf es demnach anders als in der heutigen russischen Gesellschaft nicht geben.
Die Ateliers des Kunstzentrums.
Die Ateliers des Kunstzentrums.© Pauline Tillmann
Die 40 Bewohner sind teilweise von Anfang an da, die meisten sind sind heute zwischen 60 und 75 Jahre alt. Künstler Pavel Semchenko beschreibt das Zentrum so: "Nehmen wir mal an, wir wollen eine Analogie zu französischem Käse herstellen: Es gibt Weichkäse, Ziegenkäse, es gibt harten Parmesan. 'Puschkinskaja' wäre da wohl am ehesten ein Roquefort - mit einer grünen Mikroflora und einem kraftvollen Geist - und doch ist das ein toller, schmackhafter Käse."
Auch wenn die Bewohner wenig von der russischen Politik und Gesellschaft halten - sie blenden die Aktualität um sie herum eher aus, als konkret Widerstand zu leisten. Oder, wie es Sergej Kovalsky formuliert: "Wichtiger als der Widerstand ist es, eine eigene Ästhetik zu etablieren. Eine Ästhetik, die eine moderne Regierung propagiert. Darauf kommt es an. Nicht darauf zu zeigen: Wir sind dagegen. Die Ästhetik führt den effektiveren Kampf."
Das Manuskript zum Nachlesen:
Produktion: DLF 2015