Eine Reise in den Abgrund
In Libyen verhalfen die NATO und einige arabische Staaten vor vier Jahren bewaffneten Milizen zu einem Sieg über den langjährigen Diktator Muammar al-Gaddafi. Doch was ein Systemwechsel werden sollte, führte zu permanentem Bürgerkrieg und zum Kollaps von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft. Wer ist für dieses Chaos verantwortlich?
Es ist Nacht, unter uns alles schwarz, noch sind wir über dem Mittelmeer. Dann locker gestreut die Lichter der Stadt. Unsystematisch und etwas chaotisch, kein Vergleich mit dem Straßennetz in den Städten Europas. Aber immerhin, es gibt Strom und Straßenbeleuchtung.
Das ist die erste Überraschung in einem Land mit drei Regierungen, zwei Parlamenten und weit über 1.000 Milizen. In dem der selbst ernannte "Islamische Staat" immer stärker wird. Ein Jahr lang haben mich die unterschiedlichsten Organisationen und Menschen davor gewarnt, nach Libyen zu reisen. Die Sicherheitslage sei unberechenbar. Die Gefahr, von Islamisten oder Kriminellen entführt zu werden, zu groß.
Landung in Misrata, früher eine reiche Industriestadt: Stahlindustrie, Textil- und Teppichfabriken. Darunter viele Staatsbetriebe. Aber der Staat ist untergegangen, 2011 wurde Muammar al-Gaddafi gestürzt, nicht zuletzt mit der Unterstützung westlicher Bomber. Seitdem wird um Libyens Reichtum gekämpft. Das Land verfügt über Erdgas und die größten Erdölvorkommen Afrikas, bei einer Bevölkerung von nur sechs Millionen Menschen. Jetzt wird dieser Reichtum zum Fluch: Er lockt Milizionäre und Extremisten.
"Am meisten Sorgen macht mir der Islamische Staat. Die Terrormiliz wird von Tag zu Tag stärker. Wir sollten sie so schnell wie möglich eliminieren. Dafür müssten wir Libyer unsere Streitereien zurückstellen und miteinander reden. Heute, nicht erst morgen. Jetzt, nicht erst heute Abend. Denn je länger wir warten, desto gefährlicher wird die Miliz."
Djamal, der anders heißt und anonym bleiben will, holt mich am Flughafen ab.
Er ist leger gekleidet: teure Markenjeans, Pullover. Ich habe seinen Kontakt von Kollegen, wir haben uns vorher nie gesehen. Er unterstützt mich dabei, mich in seinem Land zu bewegen.
Djamal hat lange in Großbritannien gelebt, hat dort studiert und gearbeitet. Bis er vor 20 Jahren nach Libyen zurückkam, um hier eine Familie zu gründen.
"Meine anderen Unternehmen habe ich geschlossen. Die Fliesenfabrik arbeitet schon seit der Revolution 2011 nicht mehr. Außerdem habe ich eine Firma, die Schotter herstellt, sie ist seit zwei Jahren zu. Es gibt keine großen Staatsaufträge mehr, keine Infrastrukturprojekte. Darunter leidet die gesamte Wirtschaft."
Am Flughafen prüfen Beamte die Dokumente, kleben das Visum in den Pass. Die Bürokratie läuft erstaunlich geregelt, für einen untergegangenen Staat. Seit dem Sturz Gaddafis ist Libyen ein Flickenteppich aus unterschiedlichsten Territorien. In jeder Stadt hat eine andere Gruppe mit anderen Zielen das Sagen. Jede Gruppe hat eigene Kampfbrigaden. Darüber liegt ein zweites Raster: Das Land ist grob geteilt in Ost und West, mit jeweils einer Regierung. Die im Osten sitzt in Tobruk und gilt als säkular, die im Westen, in Tripolis, als islamistisch. Dabei finden sich in beiden Lagern Vertreter aller Tendenzen.
"Vielleicht funktioniert noch etwas, weil Libyen ein reiches, starkes Land ist. Sonst wäre womöglich alles binnen weniger Wochen oder Monate zusammen gebrochen."
Seit Dezember gibt es außerdem zwei Projekte für eine Einheitsregierung, eins davon vermittelt von den Vereinten Nationen. Und westliche Staaten wollen erneut Soldaten in einen Krieg nach Libyen schicken, diesmal um die Ausbreitung der Terrormiliz IS zu verhindern. Auch ein Einsatz der Bundeswehr ist im Gespräch, zumindest die Ausbildung libyscher Soldaten. Dabei gibt es keine libysche Armee, keinen libyschen Staat, kein libysches Ganzes.
Ich werde in einem Flicken aus dem großen Teppich bleiben: Misrata, etwa in der Mitte zwischen beiden Regierungssitzen gelegen. Ein eigener Kosmos, der die Probleme des gesamten Landes spiegelt.
Im Zentrum von Misrata, neben einer Brachfläche. Ein gediegenes Hotel, Boden und Wände mit Marmor gefliest. Die Sitzgruppe in der Lobby aus Leder, ein riesiger Flachbildschirm. Gebaut und eröffnet während des Bürgerkrieges nach der Revolution im Februar 2011.
An der Rezeption eine junge Frau mit Kopftuch. Noha Hamdi Jiar ist 32 Jahre alt, eine diplomierte Soziologin. Sie floh Mitte vergangenen Jahres mit ihrer Familie aus Benghasi: mit ihren Eltern, ihrem Mann und zwei kleinen Töchtern.
Zwei Gründe trieben sie in die Flucht, erzählt sie mit einem traurigen Lächeln. Zum einen hätten sie Verwandte in Misrata und deshalb Angst gehabt, in Benghasi gezielt getötet zu werden. Benghasi liegt - Jiar setzt dieses Wissen voraus - jenseits der unsichtbaren Grenze, die Libyen teilt. Weil der Osten des Landes von anderen Milizen und einer anderen Regierung beherrscht wird als Misrata, hatte Jiar dort Angst vor Rache und Verfolgung. Außerdem gebe es im kriegszerstörten Benghasi kaum noch Arbeit. Das sei hier in Misrata etwas besser.
Dann dauerte es doch vier Monate, bis sie den Job hier an der Rezeption bekam. Da steht sie jetzt, für monatlich 650 libysche Dinar, auf dem Schwarzmarkt sind das zurzeit 180 Euro. Aber der Kurs macht wilde Sprünge, im Ausland ist der libysche Dinar nicht mehr viel wert. Weil außer Rohöl fast alles importiert wird, ist die einstige Mittelschicht nun mit dem Mangel vertraut. Schlimmer sei aber, sagt Jiar, dass die Angst zu ihrem ständigen Begleiter wurde.
"Alles ist jederzeit möglich. Aber ich halte Misrata für sicherer als viele andere libysche Städte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der IS die Stadt in Kürze erobert."
Während der Revolution war die Hafenstadt Misrata besonders umkämpft, als Hochburg der Gegner Gaddafis. Selbst Kriegsschiffe der NATO griffen zu ihrer Verteidigung ein. Nach der Revolution fanden hier die ersten freien Wahlen für einen Stadtrat statt. Heute ist von den Kriegsschäden kaum noch etwas zu sehen, die Geschäftsleute von Misrata bezahlten den Wiederaufbau.
Hier also sucht Jiar Zuflucht vor dem Krieg in Benghasi, der immer noch anhält.
"Ich habe mein inneres Gleichgewicht verloren, ich habe zu viel gesehen. Nachts kann ich nicht schlafen, habe Bilder aus Benghasi vor mir. Mich quält die Sorge um meine Töchter und ihre Zukunft. Ich habe Angst davor, dass sich in Misrata doch noch wiederholt, was wir schon in Benghasi erlebt haben."
Den Glauben an die Revolution, sagt sie, hat sie trotz allem noch nicht ganz verloren. Sie hält an der Hoffnung fest, dass Libyen zur Ruhe kommt. Gott könne sogar dieses Wunder bewirken.
Im Frühstücksraum lauter junge Männer, manche kommen auf Krücken herein, alle haben mindestens einen Verband irgendwo. Wer an Krücken geht, bekommt von anderen etwas gebracht: Im Haus gebackene Croissants oder Rosinenschnecken, Cornflakes, Rührei oder Pfannkuchen, warme Gerichte wie rote Bohnen und Fleisch. Ich hatte, nach den vielen Vorwarnungen, Not und Elend erwartet. Aber kaum ein solches Buffet.
"Wir sind schon seit drei Monaten hier, weil wir bei Gefechten in Al-Kufra verwundet wurden, einer Oase im Südwesten. In Misrata werden wir medizinisch behandelt."
Mohamed Khalifa wurde von Kugeln in die rechte Schulter und das linke Bein getroffen, beides kann er noch nicht wieder richtig bewegen. Er ist 30 Jahre alt, immer freundlich, lächelnd. Trägt eine schwarze Wollmütze, Kapuzenjacke, Trainingshose und wirkt so gar nicht wie ein Kämpfer.
An der Wand im Frühstücksraum ein Flachbildschirm, meist läuft der libysche Sender "Anaba". Er gehört einem finanzstarken und einflussreichen Islamisten, Abdelhakim Belhadji. Ein Afghanistan-Veteran, einst Emir einer Miliz mit engen Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Qaida.
"Wir haben gegen Nomaden vom Volk der Toubou gekämpft. Und gegen sudanesische Rebellen aus Darfur. Sie sind in Libyen mit General Haftar verbündet."
Khalifa Haftar spielt eine Schlüsselrolle im libyschen Bürgerkrieg, hat seine Basis im Osten des Landes. Haftar lehnt die Einheitsregierung ab, die von der UNO vermittelt wurde. Haftar war erst ein Günstling Gaddafis und machte Karriere in der libyschen Armee, scheiterte aber 1987 mit einem Interventionsversuch im Tschad. Es kam zum Zerwürfnis mit Gaddafi, gegen den Haftar dann mit Unterstützung der CIA rebellierte. Als seine Rebellentruppe erfolglos blieb, erhielten Haftar und seine Leute in den USA Asyl. 25 Jahre lang wohnte der erfolglose General in Virginia, vom Hauptquartier der CIA nicht weit entfernt. Als im Februar 2011 in Libyen die Revolution begann, kam er als amerikanischer Staatsbürger zurück. Jetzt werfen seine Gegner dem 73-Jährigen vor, sich noch einmal gedreht zu haben. Er kämpfe erneut für die Anhänger des alten Regimes, sei ein Steigbügelhalter der ehemaligen Schergen Gaddafis. Andere sehen in ihm auch jetzt noch einen Handlanger der CIA. Zu überprüfen sind diese Vorwürfe nicht.
"In Al-Kufra gibt es keine Ärzte. Nach den Gefechten im September hatten wir mehr als 80 Verletzte. Wir wollten so nah wie möglich an zu Hause behandelt werden, in Benghasi oder irgendwo anders im Osten. Das wurde uns verboten. Stattdessen schickte Haftar Flugzeuge für unsere verwundeten Gegner, also die sudanesischen Rebellen und die Toubou-Kämpfer."
Er sei, sagt Khalifa, im normalen Leben kein Kämpfer. Eigentlich studiere er Soziologie in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Aber als der Bürgerkrieg im Frühjahr 2012 die Oase Al-Kufra erreichte, schloss er sich der Miliz des Ortes an, um gegen die Anhänger Gaddafis zu kämpfen. Dazu zählt er auch General Haftar. Die Brigade der Oase wuchs schnell auf 3.000 Kämpfer. Seitdem sei jeder zehnte von ihnen gefallen, sagt Khalifa. Er selbst habe Glück gehabt und zwei Verwundungen überlebt.
"Bis klar war, dass wir in Misrata behandelt werden können, waren etliche Telefonate mit der Regierung in Tripolis nötig. Es ist nicht einfach, von Al-Kufra nach Misrata zu kommen, das sind über 1.200 Kilometer. Die Straße ist wegen der vielen Milizen nicht sicher. Schließlich hat die Regierung ein Flugzeug gechartert, das uns in Al‑Kufra abgeholt hat."
So wurde den 81 Verwundeten aus der Wüste die allerbeste Behandlung zuteil, in einer Privatklinik in Misrata. Die Rechnung zahle die Regierung in Tripolis, glaubt Khalifa.
"Manche denken ja, dass es hier keinen Staat mehr gibt, aber ganz so schlimm ist es nicht. Ich habe mich jedenfalls nicht darüber gewundert, dass sich die Regierung in Tripolis so gut um uns kümmert. Am Flughafen wurden wir wie Helden empfangen. Alle waren gekommen, um uns zu begrüßen. Einige von uns waren so überwältigt, dass sie weinten. Als wir ins Hotel kamen, kriegte jeder von uns eine Blume. Alle waren sehr bewegt. Ich bin immer noch überwältigt davon, wie wir behandelt werden, dass wir in diesem Hotel sein dürfen. Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, was ich empfinde."
Etwas später hängen der Soziologiestudent Khalifa und seine Kollegen vor dem Fernseher in der Lobby, sie gucken ein Fußballspiel der spanischen Liga. Ganz weltlich wirken sie in ihren Interessen, wie jede andere Gruppe junger Männer.
"Ich war für die Revolution im Februar 2011. Es ging um die richtigen Ziele, um Freiheit und Gerechtigkeit. Jetzt ist die Revolution aus dem Ruder gelaufen. Aber wir werden auf den richtigen Weg zurückkommen und unsere Ziele am Ende erreichen."
Er sei, sagt Khalifa noch, ein unbedingter Befürworter der neuen Einheitsregierung, der "UN-Regierung", wie sie in Libyen heißt. Nach monatelangen Verhandlungen mit Vertretern aus Libyen ernannte der deutsche UN-Sondergesandte Martin Kobler einen Ministerpräsidenten: Fayez al-Sarradsch.
Ob die neue Regierung ihren Machtanspruch durchsetzen kann, ist aber völlig offen.
"Sie tun nicht genug."
Alkarshine Fawzi ist der Mann, in dessen Hotel sich die Verwundeten seit Monaten auskurieren. Fawzi, der mit "sie" die Vereinten Nationen meint, zieht sein Hemd hoch. Er will die Narben seiner Schussverletzungen zeigen.
"Ich habe als einer der ersten zum Mikrofon gegriffen und gesagt: "Gaddafi muss weg." Deshalb bekam ich fünf Kugeln in den Körper."
Anhänger Gaddafis hätten nachts auf ihn geschossen, sein Auto mit Kugeln durchsiebt, am 6. März 2011, kurz nach dem Beginn der Revolution.
Fawzi erzählt, dass er vier Monate im Krankenhaus bleiben musste.
"Geld ist nicht alles. Ich habe schon zu Gaddafis Zeiten jede Menge verdient. Aber ich konnte nicht sagen, was ich wollte. Ich musste Gaddafi ständig loben und behaupten, dass alles prima läuft. Und dann - ja, ich bin reich. Während eine Million Menschen in Libyen arm ist. Die Unterschiede sind zu groß. Deshalb stehen wir immer noch hinter der Revolution, meine Familie und ich. Wir wollen, dass sie erfolgreich wird. Auch wenn wir nicht in die Politik gegangen sind, wir sind nun einmal Geschäftsleute."
Fawzi ist einer von fünf Brüdern, die in Libyen ein ganzes Imperium besitzen, 17 Marmorfabriken und drei Hotels, darunter das Almassa in Misrata.Ein weiteres ist im Bau, aber die Arbeiten ruhen wegen des Krieges und der schlechten Konjunktur. Dass er die Verwundeten im Almassa aufnimmt, versteht Fawzi als seinen Beitrag zur Revolution. Zwischendurch seien es 80 Zimmer mit Verletzten gewesen. Außerdem habe er den Kampfbrigaden während der Revolution eins seiner Hotels zur Verfügung gestellt. Er wolle aber, betont er mehrfach, ein Ende der Kämpfe. Viele in Libyen profitieren vom Krieg, machen im Schatten des Chaos gute Geschäfte. Zum Beispiel lassen sie im allgemeinen Durcheinander Geld aus den Kassen des Staates verschwinden. Aber Fawzis Geschäften schadet der Krieg.
Früher, sagt er, habe er in seinen Marmorfabriken landesweit an die 1.000 Arbeiter beschäftigt.
Fawzi will also Frieden. Dann ginge es dem Volk besser. Und seinen Geschäften auch.
"Wenn sie die Probleme in Libyen wirklich lösen wollten, hätten sie das vor einem Jahr gemacht. Ich habe mich gewundert, dass die Vereinten Nationen nicht schon im vergangenen Sommer eine Militärmission geschickt haben. Damals waren die Probleme noch überschaubar. Jetzt sind sie riesig wie ein Eisberg. Es wurden schon zu viele Menschen getötet."
Einige Vertreter der seit Monaten verfeindeten Regierungen in Tripolis und Tobruk kamen im Dezember überraschend überein, sich zu versöhnen und gemeinsam eine neue Regierung zu bilden. Weitergekommen sind sie damit bisher kaum. Womöglich war ihr Projekt nie wirklich ernst gemeint. Vielleicht wollen sie vor allem verhindern, dass sie ihre Pfründe an eine UN-vermittelte Einheitsregierung verlieren.
"Unser größtes Problem ist der IS. Vor denen haben alle Angst, nicht nur ich. Sie bringen jeden um, irgendeinen Grund finden sie immer. Aber ich bin bereit, gegen den IS zu kämpfen. Ich habe keine Angst vor einem Kampf Mann gegen Mann, das kannst Du mir glauben! In mein Hotel kommen sie jedenfalls nicht. Nur über meine Leiche. Nur über die Leichen von uns allen."
Ein funktionales Bürogebäude an einer der Hauptverkehrsstraßen von Misrata. Es ist Sitz der "Commercial National Bank", vor der an diesem Montagmorgen auffällig viele Menschen warten. Das sind Kunden aus Sirte und anderen libyschen Städten. Sie dürfen nur montags Geld abheben und werden dafür in den ersten Stock geführt.
"Unsere Schalterhalle ist nicht sehr groß, sie reicht gerade für unsere 30.000 Kunden in Misrata. Wir könnten da nicht auch noch die Kunden aus Sirte bedienen, das sind noch mal 25.000. Würden die täglich kommen, wäre die Schalterhalle ständig überfüllt. Deshalb bedienen wir sie nur montags und in einem anderen Raum."
Ali Ismail Sveheli leitet die Filiale in Misrata. Die Tür zu seinem Büro ist immer offen, jetzt unterbricht er nur kurz ein Kundengespräch.
"Wir hatten in unserer Filiale in Sirte 40 Angestellte. Seit drei Monaten müssen sie zu Hause bleiben, der so genannte Islamische Staat hat allen Banken befohlen, ihre Filialen zu schließen. Sie sagen, dass Banken unislamisch sind. Deshalb müssen unsere Kunden jetzt nach Misrata kommen, wenn sie Geld abheben wollen. Deshalb mussten wir die Auszahlungsmenge begrenzen, jedenfalls für diejenigen, die nicht unsere regulären Kunden sind. Sonst hätten wir innerhalb weniger Tage kein Geld mehr, noch nicht einmal für unsere normalen Kunden aus Misrata."
Ein Kunde ist nach kurzem Zögern dann doch bereit zum Gespräch. Aber nur, wenn sein Name nicht genannt wird.
"Am meisten macht uns unsere Angst vor den Milizionären zu schaffen. Andererseits funktionieren einige Dinge im Alltag ganz normal, zum Beispiel sind die Schulen noch offen."
Der Kunde kommt auf seinen Bart zu sprechen: Den habe er sich wachsen lassen, weil die Milizionäre das verlangten. Außerdem reicht seine Hose nur bis zu den Knöcheln - auch das eine Kleidervorschrift radikaler Islamisten. Die Milizionäre des selbst ernannten Islamischen Staates, erzählt er weiter, bestrafen jeden Verstoß gegen ihre Regeln hart.
"Nachts gilt eine Ausgangssperre. Das Rauchen ist auch verboten. Und wenn ein Ladenbesitzer sein Geschäft nicht während der täglichen Gebetszeiten schließt und zum Beten in die Moschee geht, machen die Islamisten seinen Laden für immer dicht."
Strafen würden öffentlich vollstreckt, erzählt der Kunde aus Sirte, Menschen beispielsweise ausgepeitscht. Die Islamisten hätten auch schon mehrere Menschen öffentlich hingerichtet. Erst in der Vorwoche hätten sie einer Frau mit einer Axt den Kopf gespalten und sie dann noch mit Kugeln durchsiebt, weil sie angeblich eine Hexe war.
"Ich habe das selbst gesehen. Sie zwingen uns dazu, dass wir uns die Hinrichtungen angucken. Sie wollen uns Angst machen, damit wir nicht gegen ihre Regeln verstoßen. Das ist ihre Art, uns zu terrorisieren."
Er habe, ergänzt der Kunde noch, für die libysche Küstenwache gearbeitet, bis der selbst ernannte Islamische Staat die Stadt Sirte übernahm.
Von da an sei er nicht mehr zur Arbeit gegangen, aus Angst um sein Leben. Zurzeit bekomme er auch kein Gehalt. Immerhin habe er mit seiner Frau und seinen Eltern trotzdem genug Geld zum Leben:
"Mein Vater ist Lehrer, ich bin hier, um sein Gehalt abzuheben. Bei mir gab es Unstimmigkeiten mit meinen Bankdaten, sonst würde ich auch noch mein Gehalt von der Küstenwache bekommen. In den nächsten Tagen werde ich ein neues Konto eröffnen, dann kriege ich wieder mein Gehalt."
Erstaunlich: Der libysche Staat ist untergegangen - und die Angestellten des alten Staates bekommen weiter ihr Gehalt: Lehrer, Professoren, Richter, Angestellte der Küstenwache und der Polizei, auch die Arbeiter und Angestellten des staatlichen Stahlwerks in Misrata werden vorerst weiter bezahlt, immerhin 7.000 Leute. Witwen erzählen, dass sie von den Pensionen ihrer Männer leben. Der Grund für dieses kleine libysche Wunder: Die drei zentralen staatlichen Institutionen haben sich für neutral erklärt und arbeiten weiter: das staatliche Erdölunternehmen, der libysche Staatsfond und allen voran die libysche Zentralbank. Sie zahlt sogar den registrierten unter den vielen Kampfbrigaden und Milizen ihren Sold, selbst denen im feindlichen Osten. Das scheint auf den ersten Blick irrsinnig, ist aber segensreich. Denn wenn hunderte Milizen und Brigaden ohne Einnahmen wären, wären Plünderzüge, Überfälle und Lösegelderpressungen noch häufiger, als sie es in manchen Städten ohnehin sind.
Aber: Das ehemals reiche Libyen steht kurz vor dem Bankrott. Pessimisten warnen, dass ab April kein Geld mehr da sei für Löhne, Gehälter und Sold.
Verbarrikadiert hinter hohen Mauern und Stacheldraht, liegt der Sitz des militärischen Geheimdienstes von Misrata.
"Ich halte die jetzige Situation für sehr gefährlich, der IS breitet sich ständig weiter aus. Die libyschen Konfliktparteien müssen den Islamischen Staat so schnell wie möglich gemeinsam bekämpfen. Die Miliz wird sonst immer stärker und wird immer schwieriger zu kontrollieren. Im Moment wissen wir noch ziemlich genau, wo sie ihre Stützpunkte haben und wie viele sie sind. Wenn wir noch lange warten, werden wir den IS kaum noch in den Griff kriegen können."
Ismael al-Shukri leitet den militärischen Geheimdienst von Misrata. Er ging aus dem Dienst des gestürzten Diktators hervor, sei jetzt aber politisch neutral. Tatsächlich steht er wohl der Regierung in Tripolis nahe. Shukri, ein Mann Ende 50, scheint nachzudenken, ehe er spricht. Er schätzt die Stärke des IS auf bis zu 2.000 Kämpfer. Andere halten auch 3.000 IS-Mitglieder in Libyen für möglich. In den vergangenen Monaten kamen mehrere führende Milizionäre aus Syrien und dem Irak in dieses Land. Darunter auch Libyer, die den Krieg nun in ihre Heimat tragen. Der IS kontrolliert außer Sirte inzwischen auch andere Küstenstädte. Und er dringt weiter Richtung Süden vor, dort sind die libyschen Ölquellen. Dabei hätten viele IS‑Mitglieder offenbar keine religiösen Motive. Meint Geheimdienstchef Shukri.
"Beim IS sind viele Anhänger des gestürzten Diktators Gaddafi. Und zwar nach dem Prinzip: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Sie kämpfen an der Seite der Islamisten gegen die Gegner des ehemaligen Regimes. In den Reihen der Terrormiliz fühlen sie sich am sichersten."
Davon abgesehen, seien viele IS-Mitglieder keine Libyer, sondern Ausländer. Die meisten kämen aus dem benachbarten Tunesien, außerdem aus Syrien und dem Irak. Aber auch aus weiteren afrikanischen Ländern, aus Ägypten, dem Sudan, Mali und Niger. Denn wegen des Bürgerkrieges ist Libyen nicht in der Lage, seine Grenzen zu kontrollieren. Verschiedene libysche Quellen sagen mir, dass der Islamische Staat Migranten und Flüchtlinge rekrutiert. Sei es unter Androhung von Gewalt, sei es mit dem Versprechen eines Soldes. Angeblich zahlt der IS monatlich 2.000 libysche Dinar, knapp 600 Euro. Damit böte die Terrormiliz für Flüchtlinge und Migranten in Libyen lukrative Jobs.
"Ja, das stimmt. Außerdem schmuggelt der IS Migranten nach Europa. 1.000 Dinar pro Person."
Der Menschenschmuggel, sagt Ismael al-Shukri weiter, sei eine wichtige Einnahmequelle des Islamischen Staates. Vor allem aber warnt der libysche Geheimdienstchef davor, die Islamisten an die Ölvorkommen zu lassen.
"Wenn sie es schaffen würden, Erdöl zu exportieren, wäre das sehr gefährlich. Sie hätten noch mehr Geld für den Krieg. Uns läuft die Zeit weg. Je länger wir warten, desto stärker werden sie. Die Ölfelder in Al-Ghani haben sie schon erreicht, aber weil sie selbst nicht fördern können, haben sie die Produktionsanlagen zerstört."
Derweil zielt nicht nur der IS auf Libyens Erdölquellen. Auch andere Milizen haben Förderanlagen und Pipelines in ihrer Gewalt. Sie unterbrechen die Produktion, zerstören Libyen wirtschaftlich. Das Land fördert nur noch ein Viertel der Vorkriegsmenge. Das ist einer der Gründe für Libyens drohenden Bankrott. Hinzu kommt der Einbruch der Erdölpreise, kommen Diebstahl und Veruntreuung im Chaos der Revolution.
Auf dem Weg durch die Stadt halten wir am Supermarkt an. Damit ich sehe, dass es auch einen Alltag gibt - und nicht nur Terroristen. Der Supermarkt ist größer als alles, was ich aus Deutschland kenne. Die Waren kommen aus der Türkei, den Golfstaaten und Europa. Die Kühltruhen sind voller Fisch, Fleisch und Milchprodukten, die Konditoren bieten bunte Torten und schwere Süßigkeiten aus der Türkei, es gibt Gemüse und Getreideprodukte - einfach alles. Aber weil der Dinar gegenüber dem Dollar zwei Drittel seines Wertes verlor und alles importiert werden muss, haben sich die Preise vervielfacht. Außerdem hat die Regierung früher Brot und andere Lebensmittel subventioniert. Jetzt hält die Zentralbank nur noch den Spritpreis niedrig. Brot ist zehn Mal so teuer wie früher.
Wir sind auf der Suche nach Ridda Issa, dem Kommandanten der libyschen Küstenwache. Früher hatte sie ihren Sitz tatsächlich an der Küste, aber dort ist jetzt alles geschlossen.
Stattdessen finden wir Issa im Hauptquartier der Armee im Zentrum von Misrata. Sie müssten sparen, sagt er fast entschuldigend, und hätten ihr Büro deshalb geschlossen. Ihre Patrouillen mussten sie im September einstellen.
"Wir haben kaum noch Geld, kriegen fast keine Unterstützung. Unsere Schiffe sind so alt, dass sie nicht mehr zu gebrauchen sind. Zwischendurch hatten wir uns mal Schleppboote geliehen, aber die mussten wir zurückgeben. Bei einer Pressekonferenz hat mich gestern ein libyscher Journalist gefragt, warum wir unsere Küste nicht schützen, und ich habe gesagt: "Das liegt nicht daran, dass wir nicht wollen. Wir haben einfach nicht die nötigen Mittel." In den letzten Jahren ist das Gebiet, für das wir von Misrata aus zuständig sind, immer größer geworden, es reicht jetzt im Westen fast bis an die tunesische Grenze. Wir sind inzwischen die einzigen, die wenigstens versuchen, die Küste zu überwachen."
Männer, sagt Issa, habe er genug, nämlich 3.500. Bis zu Gaddafis Sturz war er der zweite Mann der Küstenwache, dann brachen mit der Revolution interne Kämpfe auch bei ihnen aus. Gaddafis Anhänger unterlagen, und Issa rückte auf.
"Unser letzter großer Einsatz liegt drei Monate zurück. Damals erwischten wir ein russisches Schiff, das Erdöl schmuggelte. Kurz davor hatten wir ein Schiff aus Malta aufgebracht, dessen Besatzung auch dabei war, auf offener See illegal Öl zu laden, um es zu schmuggeln. Erst vor ein paar Tagen rief Tripolis an und sagte, dass ein Boot voller illegaler Migranten in See steche, dass sich aber die dort stationierte Marine darum kümmert, weil sie näher dran ist."
Nach allem, was seine Informanten ihm erzählen, kommen die Kämpfer des IS nicht über den Seeweg nach Sirte. In der dortigen Bucht gebe es heftige Strömungen, die seien für Boote und kleine Schiffe viel zu gefährlich. Auch die Boote mit Flüchtlingen legten anderswo ab. Trotzdem, ist Issa überzeugt, verdiene der IS mit dem Menschenschmuggel und dem Schmuggel von Diesel oder Erdöl viel Geld.
"Sie machen das nicht von Sirte aus, sondern von Sabrata. Ich bin fast sicher, dass die Terrormiliz dort auch sehr präsent ist, obwohl sie nicht die gesamte Stadt kontrolliert. Ich glaube, dass sie Öl schmuggeln, weil sie Geld brauchen. Die Einnahmen aus dem Menschenschmuggel können für ihren Krieg nicht reichen. Sie müssen noch aus anderen Quellen an Geld kommen. Wir versuchen herauszukriegen, was das ist. Zuverlässige Informanten berichten uns von dem Schmuggel mit Diesel. Es geht um tausende von Tonnen, die nach Europa oder in andere Regionen geschmuggelt werden. Wir versuchen, noch mehr zu erfahren, auch die Namen der Beteiligten."
Die Tanker lägen in einiger Entfernung vor Anker und würden mit Hilfe von kleinen Schiffen illegal beladen. Das erwähnte russische Schiff hatte, so sagt er, 5.000 Tonnen Diesel geladen.
"Angenommen, sie verkaufen im Ausland jeden Liter für einen Euro, dann geht es um einen Marktwert von fünf Millionen Euro. Nach unseren jüngsten Informationen geht es um zwei bis drei Schiffe pro Monat. Die Miliz hat noch weitere Einnahmequellen. Kürzlich haben wir ein paar illegale Migranten aufgegriffen, die durch den Osten Libyens nach Misrata gekommen waren. Sie sagten, dass sie das Gebiet des IS nur passieren durften, nachdem sie eine Art Wegzoll gezahlt hatten. Der so genannte Islamische Staat verdient also sogar an den illegalen Migranten."
Überprüfen lassen sich Issas Behauptungen nicht.
Am Stadtrand von Misrata stehen wir vor einem großen Metalltor, das sich auf unser Rufen hin öffnet. Wir sind in einer Unterkunft von sudanesischen Arbeitern in Misrata. Sie führen uns durch ihre Zimmer, meinen Dolmetscher und mich. Vier kleine Räume, für zwanzig Arbeiter. In jedem Zimmer schlafen fünf bis acht Männer, in Betten und auf Matratzen auf dem Boden. Der Platz dazwischen reicht kaum, um einen Fuß hinzusetzen. Ein paar Ersatzkleidungsstücke hängen an Nägeln an der Wand. Mehr besitzen sie nicht. Und sie haben keine Rückzugsräume.
Wenn sie nicht arbeiten, schlafen sie. Manchmal sehen sie fern, die 20 Männer teilen sich ein altes Gerät. Einen kleinen Gebetsraum haben sie auch, einen mit Wellblech abgetrennten Verschlag. Alle sind Muslime:
Dann zeigen sie mir auch noch ihre beiden "Küchen”. Eine davon ist nicht mehr als eine Ecke mit einem Gaskocher und zwei Metalltöpfen. Auf dem Boden liegen Zwiebelschalen und Paprikareste, Überbleibsel ihrer letzten Mahlzeit. Die zweite Küche ist immerhin ein kleiner Raum, aber auch leer bis auf den Kocher und Töpfe. Zum Essen setzen sie sich auf den Boden oder auf ihre Betten. In einer Ecke des Grundstücks in der Nähe des Eingangs sammeln sie ihren Müll.
Khalid Mohamed kann etwas Englisch und redet deshalb anfangs für alle. 25 Jahre alt, Jeans und Kapuzenpulli. Schmal, fast zerbrechlich, obwohl er auf dem Bau arbeitet.
"Von hier aus wollen wir zurück in den Sudan. Nach Europa zu kommen, ist viel zu schwierig. Die Leute sterben doch alle im Meer. Ich will einfach nur in Libyen Geld verdienen und dann nach Hause zurück."
Mohamed erzählt, dass alle korrekte Papiere hätten und niemand nach Europa wolle. In Libyen könnten sie genug Geld verdienen für ihre Frauen, Kinder und Eltern im Sudan. Bis auf Mohamed sind alle aus Darfur, der Kriegsregion im Westen Sudans. Mit der Zeit wollen immer mehr der Männer etwas sagen, wagen sich mit der Wahrheit hervor. Sie alle sind Tagelöhner, in einem guten Monat machen sie 1.500 Dinar, beim jetzigen Kurs über 400 Euro. Die meisten behalten davon 150 Euro für sich und schicken 250 in den Sudan. Adil Osman Mohamed ist der erste der zugibt, dass er eigentlich doch nach Europa will.
"Ich würde alles dafür tun, ein besseres Leben zu haben. Ein besseres Leben oder der Tod."
Dann geben immer mehr von ihnen zu, dass sie genauso denken. Sie kennen auch schon den Preis für die Überfahrt in den kaum seetüchtigen Booten: 3.000 Dinar, zwei Monatsverdienste. Sie sagen, dass sie über die Netzwerke hinter den Schleppern nichts wissen. Mubarak Aden Mohamed, der im Sudan sechs Kinder hat, schaltet sich ein.
"Wir würden lieber in Libyen bleiben. Aber vor einem Monat hat eine Gang von libyschen Jugendlichen unsere Unterkunft überfallen. Sie haben uns alles gestohlen, das Geld, die Handys - alles. Wir fühlen uns in Libyen nicht mehr sicher. Würde die Sicherheitslage besser und das Chaos aufhören, gäbe es keinen Grund, nach Europa zu gehen. In Libyen haben wir früher genug verdient für uns und unsere Familien."
Die Gänge in der Informatik-Fakultät von Misrata sind mit Marmor gefliest. Eine Kolonne von ausländischen Reinigungskräften macht noch sauber, Studierende verteilen sich in Hörsäle und Seminarräume.
Während die einen vor dem Krieg ins Ausland fliehen, kommen andere zurück um zu helfen. Omar Abugharsa hatte ein Promotionsstipendium in Großbritannien, aber seit 2013 ist er wieder in Libyen. Sein Bruder, der beim Aufstand gegen Gaddafi mit gekämpft hatte, war damals schwer verletzt worden. Zwei Jahre später war er immer noch in medizinischer Behandlung, und die Eltern waren der Belastung nicht mehr gewachsen. Omar wurde gebraucht.
"Man muss tun, was nötig ist. Egal was ich dadurch verloren habe, es gab für mich in dieser Situation nichts anderes, als nach Hause zurückzukommen und meine Familie zu unterstützten. Meine Mutter leidet sehr darunter, dass ihr Sohn verletzt ist. Sie ist insgesamt sehr mitgenommen von dem Krieg und den Bombardements. Davon hat sie sich nie richtig erholt, sie kränkelt seitdem. Ich könnte nach Großbritannien zurückgehen und meine Promotion abschließen, aber das würde ich nur tun, wenn ich meine Mutter mitnehmen könnte."
Weil das unmöglich ist, hat er eine Stelle an der Universität von Misrata angenommen, er ist an der Fakultät für Informatik für das Grundstudium zuständig. Sein Vater leitet ein größeres Bauunternehmen und sei von der Arbeit derart beansprucht, dass er die Verantwortung für die Familie unmöglich alleine tragen könne.
"Ich war oft im Ausland und habe dort so viele libysche Studenten getroffen. Wir Libyer hatten immer die Möglichkeit, woanders zu studieren, wenn wir das wollten. Im ersten Jahr denkt man vielleicht noch: "Das ist es! Hier will ich bleiben! Ich liebe dieses Land!" Aber wenn man dann den Abschluss hat, will man zurück. Man denkt sich: "Jetzt will ich etwas für mein Land tun, oder wieder mit meiner Familie vereint sein, oder mein eigenes Unternehmen aufziehen". Bei mir war das genauso. Ich habe mehr als zwei Jahre im Ausland gelebt, aber ich wusste immer, dass ich zurück will. Was ich an Wissen erwerbe, wollte ich immer für meine Heimat nutzbar machen."
Weil sie auch in Libyen erfolgreich sein konnten, war das Leben im Ausland früher kein unbedingt erstrebenswertes Ziel. Heute sei das vielleicht etwas anders, sagt Abugharsa. Der Krieg zermürbe die Menschen, Libyens Ressourcen schmelzen dahin, und die Angst vor einer Zukunft unter dem IS breite sich aus.
Für mich ist es Zeit, nach Europa zurückzufliegen. Djamal bringt mich zum Flughafen. Wieder hat der Flug Verspätung, sechs Stunden sind es diesmal. Djamal bleibt da, wir reden.
"Wir müssten uns doch nur zusammen setzen und unsere Streitigkeiten klären. Wir haben alles, was dafür nötig ist. Libyen ist reich, wir haben immer noch genug Ressourcen, um alles wieder zum Laufen zu kriegen. Das hoffe ich jedenfalls. Aber wenn das noch ein paar Jahre so weiter geht, dann wird es für Alles zu spät sein."
Libyen - Eine Reise in den Abgrund
Ein Feature von Bettina Rühl
Es sprachen: Claudia Mischke, Thomas Balou Martin, Reinhart Firchow, Martin Bross, Bruno Vinzen, Jan Kämmerer und Ruth Schiefenbusch
Ton und Technik: Ernst Hartmann und Angelika Brochhaus
Regie: Axel Scheibchen
Redaktion: Hermann Theißen
Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Südwestrundfunk 2016.
Ein Feature von Bettina Rühl
Es sprachen: Claudia Mischke, Thomas Balou Martin, Reinhart Firchow, Martin Bross, Bruno Vinzen, Jan Kämmerer und Ruth Schiefenbusch
Ton und Technik: Ernst Hartmann und Angelika Brochhaus
Regie: Axel Scheibchen
Redaktion: Hermann Theißen
Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Südwestrundfunk 2016.