Literaturfestival lit.Cologne

Die große Leseshow

44:04 Minuten
Literaturschiff auf der lit.Cologne 2019
Die lit.Cologne ist Europas größtes Literaturfestival © Deutschlandradio / Susanne Luerweg
Von Susanne Luerweg |
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Während der Buchhandel von einer Krise spricht, ist der Ansturm auf Literaturfestivals groß. Die lit.Cologne, eines der wichtigsten deutschen Literaturfestivals, lockt mit prominenten Gästen und ungewöhnlichen Orten. Wie viel Show verträgt die Literatur?
Freitagabend auf der "MS Rheinenergie". Der gigantische Katamaran hat sich zum "Literaturschiff" gewandelt. Fast tausend Menschen sind gekommen, um die Schauspielerin Susanne Wolff und ihren Kollegen Rufus Beck sowie den Schriftsteller Jakob Hein zu erleben. Der Titel des heutigen Abends: "Folge dem weißen Kaninchen, Eskapismus und Weltflucht".
Themenabende und Lesungen mit bekannten Schriftstellerinnen sind das Kerngeschäft der lit.Cologne. Bereits zum 19. Mal findet das größte Literaturfestival Europas in Köln statt. Aus fünf Tagen wurden zunächst neun, inzwischen sind es zwölf - mit mehr als 200 Veranstaltungen. "Mehr geht nicht", sagt Gründungsmitglied Rainer Osnowski. Obwohl die Auslastung bei 97 Prozent liege, könne man nicht weiter wachsen, das sei logistisch nicht möglich.
Roter Teppich für die Literatur
Die Grundidee war von Anfang an, der Literatur und ihren Urheberinnen einen roten Teppich auszurollen, ähnlich dem roten Teppich bei Filmfestivals. Einer der Werbesprüche in den ersten Jahren lautete: "Literatur fühlen, riechen, schmecken" – Literatur also mit allen Sinnen genießen.
lit.Cologne-Kuratorin Regina Schilling, hier bei der 55. Verleihung des Grimme Preises 2019 in Marl
lit.Cologne-Kuratorin Regina Schilling© picture alliance / Geisler-Fotopress
Inzwischen, so Kuratorin Regina Schilling, stehe vor allem eine gute Akustik und Bequemlichkeit für die Zuschauerinnen im Vordergrund. Mit vielen Autoren und Schauspielerinnen sei man freundschaftlich verbunden. Einige sind von Anfang an dabei, und wenn sie weiterhin gute Bücher veröffentlichen, werden sie auch immer wieder eingeladen. Allerdings sei der Vorwurf, man caste Schriftsteller und lasse nur jene auftreten, die besonders publikumswirksam seien, absurd.
Für jede Katastrophe eine Lösung
Wie das Programm von großen Verlagen ist auch die lit.Cologne eine Mischkalkulation. Neben prominenten Namen finden sich regelmäßig unbekannte Nachwuchsautorinnen, die die Macherinnen hinter dem Festival gerne fördern, sagt Kuratorin Regina Schilling.
Das Kernteam besteht aus rund 15 Mitarbeitern. Während der heißen Phase der lit.Cologne, den Festivaltagen also, schwillt die Mannschaft auf fast 70 Personen an. Fahrer, Gästebetreuerinnen, Technikerinnen, sie alle arbeiten für den großen Literaturzirkus.
Popstar Henning May der Band AnnenMayKantereit auf der lit.Cologne 2019
Popstar Henning May auf der lit.Cologne 2019© Deutschlandradio / Susanne Luerweg
Das Produktionsbüro zieht dann in ein Hotel in der Kölner Innenstadt, in dem auch die meisten Gäste untergebracht sind. Jede Art von Katastrophe versuche man zu regeln, erklärt Produktionschefin Rieke Brendel. Wenn ein Moderator erkranke, suche man Ersatz, wenn eine Schriftsteller kurzfristig nicht anreisen könne, richte man eine Videoschalte ein. Alles schon da gewesen, alles schon gelöst worden.
Anspruch und Unterhaltung
Schauspieler und "Harry-Potter-Vorleser der Nation" Rufus Beck glaubt, die lit.Cologne gehöre inzwischen zu Köln wie der Karneval, jeder Kölner müsse einmal im Leben dagewesen sein. Allerdings wird es immer schwerer, an Karten zu gelangen. Jedes Jahr Anfang Dezember stellen die Macher ihr Programm vor, kurz danach beginnt der Vorverkauf, ein wenig später ist vieles bereits ausverkauft.
Dennoch kann er den Zuschauerinnen noch lange nicht alles vorsetzen, sagt Festivalgründer Rainer Osnowski und Kuratorin Regina Schilling ergänzt: "Ich glaube, dass die lit.Cologne Volksbildung macht, sie macht die Menschen ein bisschen schlauer".
Politiker und Wissenschaftler erklären die Welt
Längst ist die lit.Cologne kein reines Belletristik-Event mehr. Auch der Grünen- Vorsitzende Robert Habeck kommt seit Jahren, um seine aktuellen Sachbücher zu präsentieren oder, wie in diesem Jahr, mit dem Philosophen Richard David Precht und dem Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber über die Frage "Ist die Erde noch zu retten?" zu diskutieren.
"Ich kann in diesem Jahr nicht viele Lesefestivals machen, aber zur lit.Cologne komme ich, solange ich gefragt werde", erzählt der Politiker. Wenn er über das Klima spreche, komme er nicht als Schriftsteller, sehe sich aber auch nicht als reiner Politiker. Dass Menschen, anders als bei Wahlkampfveranstaltungen, Geld zahlen, um ihn zu sehen, stört ihn. Aber so ein Festival muss eben finanziert werden, gibt Robert Habeck zu bedenken. Denn die lit.Cologne ist privatwirtschaftlich finanziert. Es gibt keine öffentlichen Gelder, dafür viele Sponsoren, die mit mehr oder weniger großen Summen die Veranstaltung unterstützen.
An erster Stelle steht noch immer das Buch
Auch Michael Lentz, Schriftsteller, Musiker und Leiter des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig, ist regelmäßig in Köln. Dieses Jahr hat er aus seinem 1.008 Seiten umfassenden Buch "Schattenfroh" gelesen. Die Veranstaltung war ausverkauft, die Schlange am Signiertisch lang.
Lentz betont, dass weiterhin das Buch an erster Stelle stehe. Im Literaturinstitut bereite man die angehenden Schriftstellerinnen zwar darauf vor, dass Lesungen inzwischen zur Jobbeschreibung eines jeden Autors gehören. Dennoch sei der Inhalt eines Textes noch immer wichtiger als der gekonnte Vortrag auf der Bühne.
Literatur und Pop
Einer, der sich auf der Bühne sehr wohl fühlt, ist Henning May. Der Pop-Sänger der Band AnnenMayKantereit präsentiert in einer Kölner Stadthalle seine Songtexte. Im Gespräch mit der Journalistin Paulina Czienskowski erzählt er, wie er seine Ideen für seine Lieder entwickelt. Er plaudert und singt einige Lieder. Das Publikum ist begeistert. Der Popstar als Literat, die Literatur als popkulturelles Event.
Die Zuschauer lieben diese Mischung aus Glamour, Promifaktor und anspruchsvoller Literatur bei der lit.Cologne. Einige kaufen Bücher, viele lassen sich aber auch einfach gerne vorlesen. Das alt bekannte Ritual aus Kinderzeiten wird hier auch gerne von Erwachsenen praktiziert. Die Lesung, ein analoges Gruppenereignis in digitalen Zeiten und das Buch profitiert vielleicht auch davon.
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