Auf der Suche nach der wahren Familiengeschichte

Meine liebe Änne!

Ein aufgeschlagenes Notizbuch mit leeren Seiten. In der Mitte liegt ein Bleistift.
Ein Bericht, mit Bleistift in ein Tagebuch notiert, ist das einzige, was von Ännes Zwangssterilisation erzählt. © Eyeem / Nirut Sangkeaw
Von Ricarda Bethke |
• Autobiographie • Erst nach dem Tod ihrer Mutter erfährt Ricarda Bethke von deren Zwangssterilisierung im Jahr 1942. Anhand von Briefen und Dokumenten zeichnet die Autorin ein Leben nach, das nach dem erlittenen Unrecht Stillschweigen bewahrt.
„In Ännes Schrank fand ich zwei Taschen mit Briefen und Dokumenten. Die eine war aus feinem Schlangenleder, mit Seide gefüttert, zimtbraun, abgerieben, manche Nahtstellen gelöst, der Verschluss ausgerissen. Unter ein ausgeleiertes Gummiband waren noch drei Diarien geklemmt, zwei davon Anatomie und Physiologie der Schwesternschülerin Änne T.
Auf den letzten Seiten des dritten, schmaleren Diariums, einem Tagebuch aus den Jahren 1943 bis 1945, fand sich mit Bleistift in Sütterlin-Schrift der Bericht über Ännes Zwangssterilisierung. Nie hat sie mit jemandem darüber gesprochen oder etwa eine juristische Anklage erhoben. Entsprechende amtliche Schreiben nach 1945 hat die Familie unterdrückt, so jedenfalls haben sie es mir nach Ännes Tod erzählt. Sie schämten sich, oder sie fürchteten sich, oder sie wollten Änne vor der Erinnerung schützen. Ich weiß es nicht.“ (Ricarda Bethke)

Die Dinge des Lebens
Ein Sommer mit Hörspielen und Dokus
Woche 7: Familie

Meine liebe Änne!
Von Ricarda Bethke
Regie: Thomas Zenke
Mit: Corinna Harfouch, Frauke Poolman, Bernt Hahn
Ton und Technik: Alexander Dorniak und Gabriele Traichel
Produktion: Deutschlandfunk 2008
Länge: 49'40

Ricarda Bethke, geboren 1939 in Berlin und aufgewachsen in Thüringen, schreibt Essays, Reportagen, Features, Hörspiele. Zwischen 1962 und 1988 arbeitete sie als Lehrerin für Kunst und Deutsch. „Meine liebe Änne“ wurde mit dem Robert-Geisendörfer-Preis ausgezeichnet.

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