Art of Brexit
43:53 Minuten
Ist es Kunsthandwerk? Künstlerischer Aktivismus? Oder Unterhaltung? Grayson Perry, Englands berühmtester Töpfer und Transvestit, stellt in der Londoner Serpentine-Gallery seine Brexit-Vasen aus. Die Motive schickten ihm Brexit-Befürworter und -Gegner über einen Twitteraufruf.
In der britischen Kunstszene gibt es kaum Brexit-Befürworter. Grayson Perry, Englands berühmtester Töpfer und Transvestit, versucht es nun mit einem Brückenschlag: "Ich glaube, dass uns Briten mehr verbindet als trennt." Die Serpentine-Gallery in London zeigt momentan Werke von Perry, die sich provokativ mit dem Brexit auseinandersetzen.
Die Ausstellung beginnt mit einem Schwein. Es ist ein tönernes Sparschwein, das Grayson Perry mit Köpfen auf beiden Seiten versehen hat: Der eine lächelt, der andere guckt grimmig. Das Schwein lädt mit unzähligen Schlitzen zum Spenden ein, darunter die üblichen Buzzwords aus der Brexit-Debatte: "Leave", "Remain", aber auch "Old", "White" oder "Male". Man steckt das Geld durch den Schlitz, mit dem man sich identifiziert. Es landet im großen Schweinebauch.
Durch die Brexit-Kunst von Grayson Perry zieht sich eine versöhnende Geste. "Ich glaube, dass uns Briten mehr verbindet als trennt", sagt er im Interview. "Dieselbe Kultur, dieselben Medien, bis hin zu den Geschäften". Der 57-Jährige, der sich in der Öffentlichkeit stets in aufregenden Frauenkleidern zeigt, hat das zum Thema zweier Vasen gemacht, die in der Serpentine Gallery ebenfalls gezeigt werden: "Matching Pair", die formale Ähnlichkeit ist unübersehbar.
"Perry ist ein Gesamtkunstwerk"
Grayson Perry ist einer der bekanntesten Künstler Großbritanniens. Seine riesigen, collagierten Vasen stellt er nicht auf der Drehscheibe, sondern in Würstchentechnik her. Ton wurde sein bevorzugtes Material zunächst nur, weil es günstig war. Dann erhielt er 2003 den Turnerpreis. Seither ist er nicht nur in großen Ausstellungen vertreten, sondern arbeitet als Dokumentarfilmer und schreibt Essays. Seine Themen kreisen immer wieder um Fragen der Popularität, des Kunstmarktes und die britische Gesellschaft. Die Briten lieben ihn für seine humorvollen und klugen Kommentare. "Grayson Perry ist eigentlich ein Gesamtkunstwerk", sagt Hans-Ulrich Obrist, künstlerischer Leiter der Serpentine Gallery.
Für seine jüngste Ausstellung "The Most Popular Exhibition Ever" wagte Perry den Blick in die Seele der Brexit-Befürworter und -Gegner, startete eine Crowdsourcing-Aktion in den sozialen Medien und reiste zu den "Brexiteers" in die Provinz. Parallel zu Töpferkunst und mehreren Tapisserien entstand der Dokumentarfilm "Divided Britain". Perry fürchtet die Auswirkungen des Brexit, ist aber als Künstler vom Votum fasziniert. "Der große Fehler der Brexit-Gegner war, dass sie in ihrer Kampagne die Befürworter als dumm verunglimpft haben", sagt er und will nichts weniger als mit seiner Kunst den Riss kitten, der momentan durch die britische Gesellschaft geht. Ist Kunst dazu in der Lage?
"Er agiert wie ein Verkäufer"
Ihn jedenfalls erreicht Grayson Perry nicht: Ben Smyth, 34-jähriger Architekt und Denkmalpfleger, steht vor der Serpentine Gallery. Noch nie war er an diesem Ort. Niemals würde er da reingehen, erklärt er freimütig. Ben Smyth ist UKIP-Anhänger und hasst moderne Kunst. "Grayson Perry agiert wie ein Verkäufer. Er will mit Leuten wie mir sprechen! Mit dem Volk! Um es bei Laune zu halten. Aber die meisten durchschauen das."
Sally Tallants Kritik kommt von der anderen Seite. Sie ist Direktorin der Liverpool Biennale, war im Arts Council tätig und ist besorgt über die Folgen des Brexit für die Kulturszene - von der Förderung kleiner Museen über die erschwerte Visa-Beantragung für ausländische Künstler bis hin zur Frage, welche Kunst künftig in Großbritannien überhaupt noch produziert und gezeigt wird. Nach Jahrzehnten liberaler Entwicklungen drohe nun die Kehrtwende, sagt sie. "Aber nur, weil diese Ideologie im Aufwind ist, heißt das nicht, dass man sich ihr anschließen muss, Grayson Perry!"