Obdach Stadtbibliothek
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Wohnungslose suchen Obdach, die Clique, die im Einkaufszentrum unerwünscht ist, braucht einen Ausweichort: Stadtbibliotheken entwickeln sich vom Ausleihgeschäft weg und hin zum Gemeindezentrum. Wie kam es zu dieser Entwicklung und welche Rolle spielt hier noch die Literatur?
Die Bibliothek als Seismograph der Gesellschaft. Kirsten Marschall leitet den Kundenservice der Hamburger Bücherhallen und weiß, welche Probleme in Hamburg gerade akut sind: "Kinder, die in Armut leben, die nachmittags nicht wissen wohin. Wir sehen Migranten, die hier ihre Tage verbringen, weil sie nicht arbeiten dürfen." Die drei Etagen der Bücherhallen sind gut besucht, fast 4000 Menschen kommen täglich, nur sonntags ist geschlossen. Die einen sind da, um zu lernen oder zu arbeiten, die anderen, um ihre Smartphones aufzuladen oder Zuflucht vor schlechtem Wetter zu finden. Manche verbringen hier den ganzen Tag.
Die Bibliothek als Wohnzimmer
Wolfgang hat im Januar seinen Job verloren und lebt teilweise auf der Straße. Umringt von mehreren Einkaufstaschen genießt er in der Cafeteria Bockwurst und Kartoffelsalat. Anneliese wurde vor wenigen Wochen von einer jungen Frau aus Afghanistan angesprochen, ob sie ihr bei der Formulierung eines Schreibens helfen könne, einer Übung für die Sprachschule. Seitdem sind die beiden Freundinnen. In einem Konferenzraum sitzen zehn Menschen aus Iran, Venezuela, Syrien, Liberia und Afghanistan und üben sich mit Hilfe einer ehrenamtlichen Lehrerin im Dialog auf Deutsch. Franz kommt seit zwei Jahren jeden Tag, weil er in seiner Wohnung giftige Dämpfe vermutet.
Hamburgs Hinterhof
Als die Zentralbibliothek Hamburgs vor zehn Jahren direkt hinter dem Hauptbahnhof ein ehemaliges Postamt bezog, wurde der Bibliothekarin Heidi Best gesagt, dass sei der Hinterhof Hamburgs, in direkter Nachbarschaft zu Drogenumschlagsplätzen und dem Zentralen Omnibusbahnhof. Ein Sicherheitsdienst wurde beauftragt, dafür zu sorgen, dass die Hausordnung eingehalten wird: Schlafen ist verboten und große Gepäckstücke müssen draußen bleiben. Jegliche sichtbare Ausübung von religiösen Praktiken ist nicht gestattet.
Streetworker und Literatur
Inmitten des neu gebauten Europaviertels in Stuttgart steht der imposante Bau der Stadtbibliothek am Mailänder Platz, direkt gegenüber eines großen Einkaufszentrums. Vor zwei Jahren kam es zu schweren Konflikten: Jugendliche und andere Besuchergruppen gerieten aneinander. Seit ein paar Monaten sorgt der Jugendsozialarbeiter Simon Fregin dafür, dass "schwierige Besucher" in das Bibliotheksleben integriert werden. Bibliotheken sind im Wandel. Trotz allem, so der Bibliothekswissenschaftler Jonas Fansa von der Berliner Zentral- und Landesbibliothek, bleibe die Literatur weiterhin das Kerngeschäft. Vielleicht nicht im gedruckten Wort, dafür aber digital. Es gehe um neue Kulturtechniken.
(Wiederholung vom 01.06.2018)