Hörspiel des Monats April 2023

PLAYBLACK RADIO

Ein schwarzer Mann hält eine weiße Maske vor das Gesicht.
© picture alliance / Zoonar Toni Rantala
Von Joana Tischkau und Jan Gehmlich |
We play Black! In der Playblack Radio Show treffen die deutschen Stimmen Schwarzer Hollywoodstars auf weiße Schwarze Musik, (Pseudo-)Wissenschaft und die Polizei der Political Correctness.
Stereotype von Gangstern, Spaßvögeln und Brutalos: Aus Hollywoodfilmen und Fernsehsendungen stammt ein großer Teil der weißen deutschen Imagination darüber, wie Schwarze Menschen sich verhalten, wie sie aussehen - und wie sie klingen. Der andere Teil stammt von Tupac Shakur, Cardi B, Beyoncé und Roberto Blanco. Aber was ist mit Tom Jones, Christina Aguilera, Amy Winehouse oder Gentleman? Wie werden "schwarze" und "weiße" Stimmen konstruiert, durch welche Zuschreibungen sind unsere Hörerfahrungen vorgeformt? In einer fiktiven Radioshow irgendwo zwischen Morningtalk, Comedy und Musikshow treffen die stereotypisierten Klangperformances zusammen und übersteuern sich bis zum Zusammenbruch.
Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt am Main hat "PLAYBLACK RADIO" zum Hörspiel des Monats April 2023 gekürt.
Begründung der Jury (verfasst von Miedya Mahmod):
Eine Stimme formt sich nicht nur aus den Lauten und Tönen, die das Selbst aus seinem Körper hervorbringt. Auch die Resonanz des Anderen, wortwörtlich seines Klangkörpers, spielt eine Rolle.
Bevor wir zur Resonanz der Jury auf das Hörspiel des Monats April kommen, ein persönlicher Anklang zum Anfang:
Script/Continuity heißt das Aufgabenfeld in der Film-/Fernsehproduktion, das u.a. für die Vermeidung von Anschlussfehlern verantwortlich ist. Oder dramatischer: den Schutz von Konsistenz, Logik, des Raum-Zeit-Kontinuums, die Ermöglichung der willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit (suspension of disbelief), Erhaltung einer Illusion von Realität.
Vor einigen Jahren meinte ich (erleichtert) zu bemerken, dass Übersetzen & Neuvertonen diegetischer Musik bzw. schauspielerischer Gesangsstimmen in deutschen Fassungen fremdsprachiger Filme abgenommen hätte.
Wo diegetische Musik, die innerhalb der Handlung vom Objekt ausgeht - beispielsweise aus einem Autoradio oder ‚DER Band‘ als Requisite, nicht als eigenständiger Akteur – meist unberührt blieb, schien die vollständige sprachliche, sprich stimmliche, Durchdringung des Schauspieler*innenkörpers integraler Teil eines deutschen Verständnis von Continuity Editing.
Übrigens: Das Pendant zu Script/Continuity im englischen / US-amerikanischen Raum stellt der Script Overseer Supervisor dar.
Es wäre ein Leichtes beim Überblicken des gesendeten Programms bei „Playblack Radio“ von einer Collage zu sprechen. Es wäre zu leicht.
Bei diesem Palimpsest aus sich überlagernden weißen Fantasien & Schwarzer Kulturgeschichte wird Schicht für Schicht abgetragen, was mit dem nächsten Jingle schon wieder drauf projiziert wird. Ideen von Originalität und Ursprung verschwimmen mit Fragen nach Authentifizierung und Identifizierung, heitere Dudelfunk-Ästhetik und metakommunikativer Kommentar drehen die Boxen auf. Besonders gelungen ist der Einsatz klassischer Tontechniken bzw. Stimmeinsätze.
So wird beispielsweise das Voice-Over der äußerst bemühten Journalistin Stefanie, die nach Straßenumfrage und Googlesuche, beim (oder eher: im) Gespräch mit ihrer ‚eigenen Schwarzen Freundin‘ Isabel zum Sinnbild bzw. Sinnton für die Machtdynamiken, die es weißen Vorstellungen, sprich Fantasien aus Jahrhunderten der Rassifizierung & Exotisierung, von Schwarzen Lebensrealitäten erlauben diese Lebensrealitäten tatsächlich und sehr real zu beeinflussen, beschneiden, zu Besitz zu erklären.
Nach einer Schalte ins Musikstudio und ins Jahr 1994 zu GI Eric und einem westdeutschen Musikproduzenten, erinnert Samuel L. Ja- erinnert Engelbert von Nordhausen mich daran, warum die britische Musikerin FKA Twigs Recht hatte damit, die wiederholte Einordnung ihres genre-bedingt, extrem speziellen Sounds als ‚Alternative R’n’B‘ einen schlampigen Journalismus zu nennen.
Ich erinnere mich daran, dass ein Voice-Over die Aufnahme einer Stimme bedeutet, die eigentlich nicht Teil des Narrativs war, sie durch Über-Stimmen aber dazu werden lässt.
Ich höre Stefanies Stimme vom Beginn sagen: ‚Oder sind vielleicht denkfaule Journalist: innen das Problem?
Ich glaube doch kaum, da gerade bei uns in Deutschland Journalist: innen eine so unentbehrliche Arbeit leisten.‘
Wieder höre ich Stefanies Stimme, diesmal in meinem Kopf. In meiner Vorstellung spricht sie von sich als Ally.
In meiner Vorstellung hörte ich auch: Jada Pinkett-Smith, Rosario Dawson und Regina King in der Rolle von Claudia Urbschat-Mingues, hörte Samuel L. Jackson und Bill Cosby in überzeugender Doppelbesetzung als Engelbert von Nordhausen und hörte Chadwick Boseman als Tobias Schmitz. Für einen Moment vergesse ich, dass Black Panther 2 eine neue Heldin hervorbrachte, weil Boseman noch vor Drehbeginn 2020 verstarb.
Mit ihrem unterhaltsamen, aber nie nur bloße Unterhaltung seienden, Trialog aus anekdotischer Evidenz, gekonnter Stimmarbeit und kritischer Selbstbefragung, aber auch -entlarvung, fahre ich durch das Uncanny Valley aus vertrauten Stimmen und, denn auch ich bin der journalistischen Methode der Googlesuche mächtig, ihren ganz fernen, aber dazugehörigen Gesichtern.
Es wäre ein Leichtes, dieses Hörspiel als Collage zu bezeichnen. Zu sagen: ein besonderes mixed-show Format, ein abwechslungsreiches Durcheinander, eine Verkettung von Zufällen, die Aneinanderreihung von Einzelfällen, aber so wichtig, wichtig, dass diese Stimmen – welche Stimmen? – gehört werden.
Zu leicht, wo es doch vor allem das Aufzeigen von Kontinuitäten ist, die „Playblack Radio“ am Ende zu einer so merk-würdigen, heißt schwer vergessbaren, Klangperformance macht.
Zugegeben, rückblickend hatte die Eingangsbeobachtung vielleicht auch mit einer altersbedingten Veränderung in meinem Medienkonsum zu tun. Weniger FSK 0, weniger Animationsfilm, weniger Zielgruppe ‚Kinder + ggf. tapfere Eltern‘, mehr critically acclaimed drama series, mehr [OV] & [OmU], mehr Filme, die auch nach 15.30 Uhr im Kino gezeigt werden.
Ich für meinen Teil frage mich zum baldigen Kinostart eines Live-Action-Remakes des Disney-Klassikers Ariel, die Meerjungfrau (1989), Arielle (Continuity?!), die Meerjungfrau bereits jetzt, ob und wenn ja, wie Zeichentrick-weiß oder White Fantasy-schwarz die deutsche Synchronstimme der Hauptdarstellerin Halle Bailey ausfallen wird.
Die Geschichte der kleinen Meerjungfrau ist nicht zuletzt auch eine Geschichte von Aneignung, Verlust und (Wieder-)Finden der eigenen Stimme.

PLAYBLACK RADIO
von Joana Tischkau und Jan Gehmlich
Regie: Joana Tischkau und Jan Gehmlich
Mit: Engelbert von Nordhausen, Claudia Urbschat-Mingues, Tobias Schmitz, Agnes Lampkin, Samia Dauenhauer, Karmela Shako, Akeem van Flodrop, Calvin Burke, Henry Morales, Luca Müller
Komposition: Diana Ezerex, Sydney Frenz, Oihane Schmutte
Ton/Technik: Barbara Göbel und Dirk Hülsenbusch
Produktion: WDR 2023
Länge: ca. 53‘

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