CSD in Falkensee
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Zum Christopher Street Day (CSD) zeigt die LGBTQI-Community - oft ziemlich freizügig und hedonistisch -, was sie im Kampf für Gleichberechtigung erreicht hat. 50 Jahre nach dem Aufstand gegen Polizeigewalt in der Bar Stonewall Inn organisieren Freiwillige den ersten CSD in Falkensee im Havelland.
Ein vollbesetzter Pendlerzug aus Berlin hält am Spätnachmittag in Falkensee, im Speckgürtel von Berlin. Hinter der Westberliner Stadtgrenze beginnt die Provinz, das Havelland. Weite Flächen, Flussniederungen und eine große Artenvielfalt. Die Idylle der Gartenstadt Falkensee lockt viele Berliner hierher, manche werden hier auch sesshaft. Mittlerweile ist Falkensee die am stärksten wachsende Stadt der Republik. Und in puncto Kulturleben will sie der Hauptstadt in nichts nachstehen.
Mehr Sichtbarkeit in der Provinz
Auf dem Campusplatz sitzen Martina Hape und Marlis Wutta in der Abendsonne. Sie planen den ersten CSD in Falkensee, der dieses Jahr hier stattfinden wird. Beide wohnen schon seit über zehn Jahren in Falkensee, jeweils mit ihren Frauen und Kindern, und engagieren sich schon lange für mehr Sichtbarkeit von queeren Menschen auf dem Land.
Dieses Jahr, dem fünfzigsten Jubiläum des Aufstandes der Schwulen in der New Yorker Christopher Street, wollen sie dieses Engagement auch mit einer Demo feiern. Für Martina und Marlis, die gemeinsam mit anderen seit einigen Jahren das Regenbogencafé als Treffpunkt für Schwule, Lesben oder Transmenschen in der Stadt betreiben, geht damit ein lang gehegter Traum in Erfüllung. "Die Regenbogenfahne haben wir schon zweimal vorm Rathaus gehisst, dieses Jahr wollen wir ein bisschen mehr action", sagt Martina und die Vorfreude ist ihr sichtlich anzumerken.
Für Vielfalt und Toleranz
Die Demo und die anschließende Party soll Leute aus Falkensee, aber auch aus dem Umland und Berlin anlocken. Denn es geht vor allem um die politische Botschaft, so Marlis. Falkensees erster CSD soll nicht nur an den Kampf für Vielfalt und Gleichberechtigung erinnern. Er ist auch ein Signal für Vielfalt und Toleranz in einem Bundesland, in dem Rechtspopulisten bald die Mehrheit im Landtag stellen könnten. "Denn man braucht sich die Parteiprogramme der Rechten doch bloß einmal durchzulesen, um zu wissen, dass man nicht still bleiben kann. Wir lassen uns das Erreichte nicht mehr nehmen", betont Marlis.
1.500 Teilnehmer und ein roter Traktor
Obwohl im Vorfeld mehrfach die Internetseite der Veranstalter gehackt wurde, um die Besucher zu verwirren, kommen am Tag des CSD 1.500 Menschen nach Falkensee. Ein roter Traktor aus dem Jahr 1961 führt die Parade der Bunten an und viele Regenbogenfamilien zeigen sich mit ihren Kindern. Am Straßenrand wird der Demozug teils freudig begrüßt und selbst der Dönerverkäufer tanzt zum Beat der Samba Trommlerinnen, die den Zug anführen.
Nach einer Stunde kommen die Teilnehmer, die aus allen Teilen Brandenburgs angereist sind, auf dem Campusplatz an und die Party geht bis spät in die Nacht. Eine Gruppe Jugendlicher ist extra aus dem Berliner Stadtteil Strausberg angereist und liegt sich feiernd in den Armen. Zuhause, so sagen sie, gebe es immer noch Stress mit den Eltern. Die würden sie nicht so akzeptieren und auch in der Schule sei es noch immer schwer, sich zu outen.
Tülin Duman über den Kampf um Gleichberechtigung
Die Queer- und Menschenrechtsaktivistin Tülin Duman erläutert im Interview, woher der Begriff "queer" eigentlich kommt und dass man auch heterosexuell und queer sein kann. Denn es gehe beim Kampf um Gleichberechtigung immer auch um eine kritische Haltung gegenüber Herrschaft und Unterdrückung. Sie kritisiert deshalb die Vereinnahmung von schwulem oder queerem Lifestyle durch große Firmen oder Modemarken, wie man sie auf den großen Gay Prides oft sieht. Aber auch innerhalb der queeren Szene sei noch viel Aufklärungsarbeit nötig, betont Duman. Denn auch hier gibt es Rassismus und Ausgrenzung.