Radio Palm Fiction
10:03 Minuten
Was hat Radio mit Botanik zu tun? Das Künstlerhaus Mousonturm hat sich dieser Frage gewidmet und eine Radiostation im Palmengarten in Frankfurt errichtet. Anna Seibt über das Radioprojekt "You are here."
Atmo Palmengarten
Mitarbeiterin: "Also, ihr kriegt das Radio. Der Sender müsste noch nicht eingestellt sein. Ich hatte ihn eigentlich gerade eingestellt. Da läuft sie. Ich mach jetzt nochmal aus. Also, das ist einmal für euch. 105,4 ist unsere Frequenz und wenn ihr wollt, könnt ihr uns immer schreiben. Ihr könnt einmal Standortbestimmungen schicken und Grüße, oder aber die Frage "Wo sind wir gerade?", sowohl philosophisch als auch, wo ihr gerade im Palmengarten seid – da freuen sich die Menschen im Radio, genauso wie die Frage nach Songwünschen, weil die nachher vielleicht live gespielt werden.
Es ist Samstagnachmittag, die Sonne scheint und viele Menschen flanieren durch den Palmengarten im Frankfurter Westen. Das offene Zelt, das nicht zu übersehen direkt am Eingang hinter dem Seerosenteich steht, ignorieren die meisten allerdings. Ich nicht, denn ich will erfahren, was hinter dem Radioprojekt "You are here!" steckt.
Mitarbeiterin: "Wir sind seit 13 Uhr hier, hinten sieht man eine große Antenne aufgebaut und deswegen können wir hier im Palmengarten senden und wir verteilen hier die Radios an Leute, die zuhören möchten. Und um 18 Uhr kommt die Liveshow mit unseren beiden Künstlerinnen."
Atmo Palmengarten
Die freundliche Mitarbeiterin hat sich während des Sprechens umgedreht und so meinen Blick auf ein kleines Jugendstilhäuschen gelenkt. Das Gebäude, in dem sonst Eheschließungen vollzogen werden, wurde zum Radiostudio umfunktioniert. An zwei Wochenenden senden die Radiojournalistin Theresa Beyer, der Komponist Hannes Seidel und der Trompeter Paul Hübner "Radio Palmficition" – ein Sender, der nur exklusiv im Palmengarten zu empfangen ist.
Jingle Radio Palmfiction
Mit einem kleinen Radiogerät ausgestattet gehe ich also auf Erkundungstour durch den Palmengarten. Flanieren und Radio hören, das klingt nach einem Sonntagnachmittag nach meinem Geschmack.
Radioatmo
Ich schalte ein und es geht – wie sollte es anders sein – um Corona. Die Künstlerin Swetlana Maras erzählt im Gespräch mit Theresa Beyer von ihren Erfahrungen in den letzten Monaten. Ich habe mich auf eine Bank niedergelassen und es dauert nicht lange, bis mich einer der Gärtner anspricht.
Gärtner: "Ist es unterhaltsam?"
Anna Seibt: "Ich habe noch nicht so viel gehört, ich habe gerade erst angefangen."
Gärtner: "Ach so, okay, viel Spaß noch!"
Andere Passanten schauen mich nur interessiert oder auch skeptisch an und langsam komme ich mir selbst vor wie eine Schauspielerin: Schaut her, ich zeige euch, wie man Radio hört – auch für die vielen Kinder unter euch, die gar nicht mehr wissen, was ein Radio ist!
Radioatmo
Es fällt mir schwer, dem Gespräch im Radio zu folgen – es gibt so viel zu sehen um mich herum! Zeit also, um mit Dramaturg Marcus Droß über das Konzept von "Radio Palmfiction" zu sprechen. Meine erste Frage: Was hat Theater, für das der Mousonturm vor allem bekannt ist, mit Radio zu tun?
Marcus Droß: "Ganz wichtig: Dieser wunderbare Vorwand, auf einer Bühne Radio zu machen, weil es eigentlich nichts zu sehen gibt, eigentlich nur um das geht, was wir hören können und natürlich sehe ich dann trotzdem was. Heute ja auch, in diesem Pavillon, dass ich da reingucken kann und dass diese Form von letztendlich auch theatraler Handlung ja auch Eindrücke hinterlässt, Atmosphären erzeugt, Handlungen stiftet, die es zu beobachten sich tatsächlich lohnt."
Und weil es eben auch ein bisschen Theater ist, haben sich die Macher*innen einen roten Faden für ihr Radioprogramm überlegt: Der Trompeter Paul Hübner ist einsam, da er auf Grund der Coronaschutzmaßnahmen isoliert ist und mit niemandem Musik machen kann. Also suchen Theresa Beyer als Moderatorin und Hannes Seidel als Sidekick für Paul Hübner neue Bandmitglieder. Das Casting beginnt um 18 Uhr - die beiden Band-Bewerberinnen werden ebenfalls im Radio-Pavillon erwartet.
Trompetenklänge
Pünktlich um 18 Uhr beginnt die Sendung mit den Trompetenklängen von Paul Hübner. Ich sitze auf einer Liegewiese etwa 30 Meter Luftlinie vom Radiostudio entfernt. Und plötzlich höre ich, dass die Trompetenklänge nicht nur aus dem kleinen Radiogerät vor mir klingen, sondern ich sie auch unmittelbar aus der Ferne zu mir schallen höre. Und jetzt verstehe ich, warum Komponist Hannes Seidel sich für die FM-Übertragung per Radiowelle entschieden hat und gegen das zeitgemäßere Streaming über das Internet: Anders als beim Streaming, bei dem es aus technischen Gründen immer zur Zeitverzögerung zwischen Originalklang und Übertragung kommt, gelangen hier im Palmengarten die Töne aus dem Radiostudio zur gleichen Zeit an mein Ohr wie die Klänge aus dem Radiogerät - ein toller Moment!
Radioklänge
Leider scheint die Radioshow nicht so gut mit den Gärtnern abgestimmt zu sein, denn irgendwo macht einer Lärm, vielleicht mäht er Rasen, ich kann es nicht orten. Um mehr Ruhe zu finden, nehme ich mein Radio also in die Hand und spaziere zum äußersten Rand des Palmengartens und siehe da, es eröffnet sich mir noch ein anderes Spezifikum des Mediums, das, normalerweise störend, hier selbst Teil der Performance wird.
Radioklänge Störgeräusche, Frequenzwechsel
Gerade rechtzeitig komme ich zu einem kleinen Teich mit Fontäne. Hier empfängt mein Radiogerät den Sender wieder und ich höre, wie die SMS, die ich 10 Minuten zuvor an die ausgeteilte Nummer geschickt habe, im Radio vorgelesen wird.
Beyer: "Hannes, lies doch mal ne Antwort des Tages vor!"
Seidel: "Ich habe Sprachnachrichten bekommen, ich habe auch schon Musikwünsche bekommen."
Seidel: "Ich habe Sprachnachrichten bekommen, ich habe auch schon Musikwünsche bekommen."
Beyer: "Und zwar haben wir die Frage:‘ Wo sind wir?‘ in den Garten posaunt und möchten darauf eure Antworten hören."
Seidel: "Also, anonym hat uns geschrieben: ‚Ich bin immer auf der Suche. Immer. Nach Neuem, Unbekanntem, Spannenden, Nochnichtdagewesenem. Das macht das Leben zwar etwas anstrengender, aber auch sehr viel reicher.‘ Liebe Kommentatorin, lieber Kommentator, ich würde sagen, du bist hier heute Abend genau richtig, auch wir sind auf der Suche nach Neuem und es kann ja wirklich niemand wissen, was uns hier erwartet."
Und obwohl ich ja selbst beim Radio arbeite, wo ich des Öfteren zu einem großen Publikum sprechen darf, freue ich mich insgeheim, dass es meine SMS ins Programm geschafft hat.
Radioatmo
Sprecherin
Während ich wieder zum zentral gelegenen Radiostudio zurückschlendere, frage ich mich, wie viele Menschen wohl gerade hier im Palmengarten dasselbe hören wie ich. Vereinzelt konnte ich schon Leute mit Radiogeräten erspähen; dass wir mit unseren Radiogeräten aber zum Gruppenverstärker der Sendung geworden wären, so wie es sich die Veranstalter gewünscht haben, das konnte ich nicht feststellen.
Vielleicht liegt das verhaltene Interesse, trotz des gut besuchten Palmengartens, ja auch an der Art der Sendung? Die Mischung aus improvisierter Musik und Interviews zu Kunst und Politik ist schon sehr anspruchsvoll und erfordert an vielen Stellen mehr Konzentration, als man bei Sonnenschein im Park vielleicht zu geben bereit ist.
Und dennoch ist das Projekt ein glühendes Plädoyer für das Radio, wie mir Initiator Hannes Seidel auch bestätigt:
Hannes Seidel: "Ab April war eigentlich klar, Streaming ist ein vollkommen überholtes Format. Das ist so stark ein Notbehelf geworden für alle möglichen Künstlerinnen und Künstler, dass das nichts ist, was wir als künstlerisch explizites Format anbieten wollen. Wenn ich jetzt sage, ‚das kann jeder zu Hause hören‘ hört‘s keiner. Wenn ich hier in den Palmengarten komme, um uns zu hören, uns vielleicht auch zuzusehen, entsteht eine Art von Gemeinschaft. Also, Radio ist ein ganz wunderbares Medium, das Ohr zu lenken. Weil es unfassbar nah an einem dran ist und gleichzeitig haptisch bleibt und damit so was Vertrautes hat und damit kann ich, glaube ich, ganz viel machen."