Programmtipp: Ursendung des Hörspiels "Blumen für Otello - über die Verbrechen von Jena" von Esther Dischereit am Mi., 21.5., 21:33 Uhr
"Ich wollte, ich könnte es noch immer nicht glauben"
Die deutsch-jüdische Schriftstellerin Esther Dischereit wollte verstehen, was Menschen dazu treibt, aus rassistischen Gründen zu töten. Sie besuchte regelmäßig die Sitzungen des NSU-Untersuchungsausschusses.
Aus ihren Eindrücken entstanden unter dem gleichen Titel ein Opernlibretto, ein Buch mit Klageliedern in deutscher und türkischer Sprache und dieses Hörspiel.
Esther Dischereit ist Autorin zahlreicher Bücher und Hörspiele. Sie lebt in Berlin und Wien und lehrt als Professorin für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben für Ihre Recherchen den NSU-Untersuchungsausschuss besucht und den Prozess beobachtet. Wie erging es Ihnen dabei?
Esther Dischereit: Zunächst war ich fassungslos, und ich versuchte, das Geschehen mit rivalisierenden Interessenlagen, Revierkonflikten etc. aus der rechten Szene heraus in einen unmittelbaren Zusammenhang mit materiellen Interessen zu stellen. Mein Verstand weigerte sich, das willkürliche Vorgehen, die Anbetung der Gewalt, die bis zur ethnisch zugeschriebenen Auslöschung gehen würde, als Grundlage anzunehmen. Ich wusste, dass der Hass auf die jüdische Bevölkerung und schließlich die Ermordung, dass die Völkermorde in anderen Staaten sich auf Ideologien gründeten vom unwerten Leben des Anderen. Aber als ich die Hinrichtungen an den Menschen mit Einwanderungshintergrund sah, konnte und wollte ich zunächst nicht glauben, dass diese Ideologie unter den Bedingungen des demokratischen Staats in Deutschland zur mörderischen Vollendung geführt worden war. Und dass dies alles unter den Augen von Verfassungsschutzämtern geschah und teils verzahnt mit ihnen, wie es sich dann im Aufbau des außerhalb der Legalität operierenden V-Leute-Systems zeigte. Ich wollte, ich könnte es noch immer nicht glauben.
Deutschlandradio Kultur: Wie entstand der Impuls, daraus Literatur zu machen?
Esther Dischereit: Ich kann den Prozess des Schreibens eigentlich nur durchhalten, wenn ich mich mit etwas beschäftige, das sich mir durch das Schreiben selbst erschließen kann, sodass ich dem Geschehen dadurch näher kommen und begreifen kann, vielleicht mehr als mir lieb ist. Mir wurde übrigens auch klar, wie sehr die Kräfte, die seit 1990 im Osten Deutschlands gegen die rechtsradikale Aufrüstung und deren Militanz aktiv gewesen waren, im Stich gelassen worden waren. Diese mutigen Leute kann ich nur um Verzeihung bitten.
Deutschlandradio Kultur: Wie haben Sie noch recherchiert? Mit Angehörigen gesprochen?
Esther Dischereit: Ich habe mit Expertinnen und Experten gesprochen, apabiz Berlin zum Beispiel, mit den Anwälten der Opfer, ich sah mir Bilder von Tatorten an und verbrachte einige Stunden damit, mir das in den Trümmern des Zwickauer Hauses gefundene Paulchen-Panther-Video anzusehen, das als Bekennervideo angesehen wird – und später, als das Stück schon fertig war, sprach ich auch direkt mit Angehörigen. Ilker Duyan war als Vertreter der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) und des Türkischen Bundes Berlin (TBB) ständig bei den Ausschusssitzungen zugegen. Ich sprach mit meinen Freunden darüber vom Verband der Roma und Sinti in Deutschland, wie sie über die Dinge dachten; auch mit Leuten von Amnesty International. Der Prozess ist nicht abgeschlossen.
Dichter und Betrunkene können die Wahrheit sagen
Deutschlandradio Kultur: Das Hörspiel lebt in meinen Augen von Anspielungen, Verweisen, Gesprächssplittern, Atmosphärischem. Ich fand es nicht einfach, darin eine Geschichte, einen roten Faden zu finden. War das Ihre Absicht?
Esther Dischereit: Ich finde es ebenfalls nicht einfach, im Ablauf dieses Verbrechens, seiner Begünstigung und schließlich seiner Aufdeckung den roten Faden zu finden. Ich halte mich da sozusagen an die Realität, es ist ja die Geschichte eines konsequenten Mauerns: Der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags sollte später eine Verkettung ungeheuerlichen Versagens und struktureller Probleme diagnostizieren. Die Kriminalisierung der Opferfamilien bei gleichzeitig wachsender Kenntnis über die Vorbereitung weiterer Verbrechen aus dem gewaltbereiten rechtsradikalen Milieu durch Ermittlungsbehörden entbehrt unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten jeder Logik oder Legitimität. Warum zogen sich Behörden gewaltbereite Zuträger heran und bauten sie auf? Im Stück gibt es darauf keine Antwort. Es gibt allerdings eine Option darüber, was man eigentlich mit vom Staat beschäftigten Leuten machen könnte, die selbst einen staatsgefährdenden Eindruck machen; besonders dann, wenn es sich um keine Einzelfälle mehr handelt. An dieser Stelle freue ich mich, dass ich mich nicht zu einer Dokumentation oder reinen Recherche-Arbeit entschlossen hatte. Dichter und Betrunkene können die Wahrheit sagen.
Deutschlandradio Kultur: Welche Rolle spielt Otello für das Stück – der Bezug zu Shakespeares Tragödie, wo ein schwarzer Feldherr aus Eifersucht seine Geliebte Desdemona ermordet? Und hat es eine Bedeutung Othello mit oder ohne – h – zu schreiben?
Esther Dischereit: Otello ohne h – das ist ein Hinweis darauf, dass es nicht nur diesen einen einzigen Othello gibt – den Shakespeare-Othello. Darauf will ich ja hinaus: Sein Schicksal ist ein universales, wenn man die Tötung der Desdemona nicht als Eifersuchtsdrama ansieht, sondern als eine Tat, die ein durch Rassismus zutiefst verwundeter schwarzer Mann an seiner weißen Frau verübt; einer Frau, die er über alles liebte. Ein Mann, der eigentlich alles hatte: eine geachtete gesellschaftliche Stellung, Macht und Geld und eben diese Frau, wegen der er übrigens – es hätte nicht viel gefehlt – beinahe vor den Richter gekommen wäre, denn man klagte ihn der Verführung an. Warum denn? Weil er ein Schwarzer ist. Es scheint dann nicht geboten, dies weiterzuverfolgen, weil er als Kriegsherr gebraucht wird. Aber der Schein trügt und das infame Hetzen gegen ihn geht ungebrochen weiter. Bis Otello es eben selbst nicht glauben kann, dass seine schöne Weiße ihm, einem "Mohren", treu sein sollte. Der Rassismus vergiftet seine Seele, er macht ihn buchstäblich krank und nicht bei Sinnen. Diese Erfahrung des tödlichen Rassismus macht ihn, den gesellschaftlich Hochstehenden, mit den Mordopfern des NSU, die gesellschaftlich gering geschätzt waren – ich erinnere an das Wort von den "Döner"-Morden – zu einem Gleichen.
Deutschlandradio Kultur: Gibt es etwas, von dem Sie sich wünschen, was Ihre Texte zum Thema bewirken?
Esther Dischereit: Ich kann literarisch etwas anderes sagen, als es journalistisch möglich ist. Wie kann ich mitfühlen und Anteil nehmen? Und wie kann ich begreifen. Begreifen, was es bedeutet, dass wir uns dem bedeutendsten rassistisch motivierten Verbrechen gegenübersehen, das es in der Bundesrepublik seit ihrer Gründung gegeben hat. Oder hätten Sie gedacht, dass der Ku-Klux-Klan in einem Ländle wie Baden-Württemberg beheimatet ist?! Die Forderung, die im Raum steht, ist nach wie vor: Aufklärung und Konsequenzen.
Das Gespräch führte Cornelia Sachse
Literturtipp: Esther Dischereit: "Blumen für Otello – Über die Verbrechen von Jena", Deutsch – Türkisch, Aus dem Deutschen übersetzt ins Türkische von Saliha Yeniyol, Verlag Secession, s.edition, Zürich 2014