Reihe: Wirklichkeit im Radio

Die Callas - Beschreibung einer Leidenschaft (1/2)

56:13 Minuten
Maria Callas im Jahr 1967 in Berlin
Maria Callas im Jahr 1967 in Berlin © picture alliance / akg-images
Von Claudia Wolff |
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Die Autorin ist 17 Jahre alt, als sie zum ersten Mal diese Stimme hört – da ist es um sie geschehen. Jahrzehnte nach der berauschenden Frühinfektion will sie ihrer Leidenschaft endlich auf den Grund gehen.
„Sie hat nicht Rollen gesungen, niemals, sondern auf der Rasierklinge gelebt“, schrieb Ingeborg Bachmann über Maria Callas. Die legendäre Sopranistin hat das Publikum bis zum Fanatismus erregt, aber auch heftige Abneigung provoziert bei den Liebhabern eines behaglichen Musikkonsums. Einzigartig ist sie gewesen in der Verbindung von Bühnen-Präsenz, virtuoser Gesangstechnik und musikdramatischem Instinkt. Das Feature handelt vom Singen, vom Leben, vom Unglück der Callas und vom monströsen Ruhm, der ihre Kunst zu Lebzeiten eher verdunkelt hat.

Die Callas – Beschreibung einer Leidenschaft
Von Claudia Wolff
Regie: Barbara Entrup
Mit: Brigitte Röttgers, Christa Rossenbach
Ton: Christa Schaaf
Produktion:SDR/NDR/WDR/SFB 1987
Länge: 54'30
Online-Fassung: 56'09
Eine Wiederholung vom 15.09.2007

Teil 2 am 28.12.2024, 18.05 Uhr, Deutschlandfunk Kultur
Die Callas – Beschreibung einer Leidenschaft - Teil 2

Claudia Wolff, geboren 1941, lebt als Autorin in Heidelberg und arbeitet vorwiegend fürs Radio. Sie ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg. 2004 erschien ihr Buch „Letzte Szenen mit den Eltern“. Radiostücke: „Cosima Wagner, geborene Liszt, geschiedene von Bülow“ (SDR/WDR/SFB/NDR 1998), „Im Abstammungsglück. Greise Szenen“ (WDR/SWR/SFB/Deutschlandfunk 2001).

Ausgewählte Radiostücke
"Dachschäden. München 72 – eine deutsche Olympiade." (Co-Autor Horst Taubmann)
(WDR/SDR/RB 1972)
"Die Callas – Beschreibung einer Leidenschaft" (SDR/WDR/SFB/NDR 1987)
"Mengeles Kiefer. Klarsfelds Küche. Skizzen zum Verschleiß der Erinnerung."
(WDR/SDR/SFB/NDR 1988)
"Krise und Kränkung: Die kritische Intelligenz. Skizzen zur linksdeutschen Selbstaufklärung." (WDR/SDR/SFB/NDR 1991)
"Cosima Wagner , geborene Liszt, geschiedene von Bülow"
(SDR/WDR/NDR/SFB 1998)
"Im Abstammungsglück. Greise Szenen" (WDR/SWR/SFB/DLR 2001)

Das Feature "Die Callas - Beschreibung einer Leidenschaft" ist Teil der Reihe Wirklichkeit im Radio.
Den folgenden Essay finden Sie zusammen mit zahlreichen weiteren und vielen Extras auf dieser Webseite.
Das Portrait einer berühmten Stimme. Das zu einer Feature-Legende geworden ist. Im Vordergrund stehen Tonaufnahmen von Maria Callas. Studioaufnahmen und Mitschnitte von verschiedenen Auftritten. Immer in der Rolle, nie im Interview. Das Feature versucht zu ergründen, was diese Stimme und diese Bühnenpersönlichkeit Maria Callas so einzigartig machte. Warum sie offenbar in der Lage war, viele Menschen auf eine ganz besondere Weise anzusprechen. Was sie von anderen Diven oder auch gewaltigeren "Stimmwundern" auf der Opernbühne unterschied. Kurz gesagt: Worin ihre eigentliche Qualität als KÜNSTLERIN bestand.
Denn "Die Callas" ist keine neutrale Annäherung, sie ist, wie der Untertitel schon suggeriert, die Hommage eines Fans – in diesem Falle der Autorin – die sie gegen kritische Einwände verteidigt und als "Enthusiastin" auch im Stück auftaucht. Diese Einwände werden personalisiert und von der Gegenstimme eines "Skeptikers" – auch der "Nüchterne" genannt – vorgebracht. Allerdings auch schnell wieder vom Tisch gefegt. Der Autorin stehen dazu schwergewichtige Fürsprecher von Ingeborg Bachmann über Werner Schröter bis Jürgen Kesting zur Seite. Und immer wieder die Callas selbst, die mit ihrer stimmlichen Präsenz die Aufmerksamkeit ganz auf sich zieht.
Dieses Portrait ist in mehrfacher Hinsicht faszinierend. Es ist auf eine Weise geradezu konventionell: Seinem Tonfall nach klar in der Tradition des Kulturfeatures verhaftet, setzt es auf ein ausgewogenes Maß von Unterhaltung und Gelehrsamkeit, schreitet biografisch chronologisch voran. Von der Gesangsschülerin Maria Callas – "groß, fett, fast blind"– über den Zenit Ende der 50er Jahre bis zur gefallenen Diva am Ende ihres Lebens und kostet die dramatischen Momente, die der Lebenslauf der Callas zu genüge bietet, gerne aus, manchmal auch psychologisierend.
Besonders ist das Portrait unter anderem deshalb, weil es absolut parteiisch ist. Es setzt sich souverän über die journalistische Vorgabe der ausgewogenen Darstellung hinweg. Wir begegnen einer Autorin, die tage- und nächtelang Musik hört, wie im Fieber und sich mit allem was sie hat hinein stürzt in ihr Thema. Und GERADE dieser unkaschierter "Enthusiasmus" bringt hier das Neue hervor, ermöglicht die Vertiefung des Nachdenkens, des Zuhörens, öffnet die Tür. Für Gedanken über die Gestaltung von Klanggesten, über den Unterschied zwischen dem "sinnhaften" und dem "schönen" Ton oder "Bewegungsintelligenz" auf der Bühne.
Die zweite wichtige Besonderheit dieses Features ist die Dominanz des O-Tons in Form von zahlreichen, oft minutenlang freistehenden Gesangspassagen der Callas. Zuallererst lernt man die Person über ihre Stimme kennen. Wird selbst zum Lauschenden, zum Forschenden. Das investigative Interview, das dem Biografen in der Regel neue "Enthüllungen" verspricht, spielt hier hingegen keine Rolle. Darum geht es nicht, kein bisschen. Und vielleicht ist das auf den zweiten Blick auch gar nicht sehr überraschend; Claudia Wolff war über Jahrzehnte eine bedeutende Radiopersönlichkeit. Als Autorin, nicht als Funktionärin. Sie stand für eine wache, linke, angriffslustige Publizistik, die sich immer wieder an Lebenslügen der Bundesrepublik abarbeitete. Und sie hatte dabei eine tief in ihrer Biografie verankerte bildungsbürgerliche Seite, eine Liebe zur klassischen Musik. In diesem Feature steht letzteres im Vordergrund, ohne das ersteres stumm bliebe. Es ist gelehrt, aber nicht belehrend. Und sehr persönlich in seiner Hingabe an den Gegenstand.
Claudia Wolff, das wird schon nach den ersten Minuten klar, hat die Callas nie getroffen, jedenfalls nicht jenseits der Opernbühne. Sie hat nicht nach "Wegbegleitern" gesucht, um neue biografische Details zu erfahren. Sie hat bei der eigenen Wahrnehmung angesetzt, hat diese Eindrücke an anderen Quellen (Schröter, Bachmann, Kesting) gespiegelt, sehr viel gehört, gelesen und nachgedacht. Und heraus kommt dabei nicht nur ein umwerfendes Portrait der Callas. Sondern auch ein Feature, das grundsätzlich zu Gesangskunst und Oper – und vielleicht auch zum Wesen des Künstlertums – einiges zu sagen hat.
Tanja Runow
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