Satellitenbilder Deiner Kindheit
Von Leon Engler
Regie: Leon Engler und Jörg Schlüter
Komposition: Leon Engler
Mit Niklas Draeger, Nagmeh Alaei, Silke Linderhaus, Paula Essam, Steffen Reuber
Produktion: WDR 2022
Länge: 52'40‘‘
Hörspiel des Monats Februar 2022
© picture alliance / Hauke-Christian Dittrich
Satellitenbilder Deiner Kindheit
Der Vater legt seine Autobiografie vor. Der Sohn wundert sich. Denn der Vater ist kein erfolgreicher Mann, nicht im klassischen Sinn. Er lebt in einer Einzimmerwohnung, fährt einen 30 Jahre alten Ford Fiesta und sammelt Fallobst am Straßenrand. Außerdem bricht die Autobiografie mit der Geburt des Sohnes plötzlich ab.
Diese Leerstelle, diese Gedächtnislücke wird zum Ausgangspunkt des Hörspiels. In der Mythologie kündigt die Geburt des Sohnes den Tod des Vaters an: Odysseus, Kronos, König Laios und Darth Vader würden es bezeugen, hätten ihre Söhne sie nicht umgebracht. Doch der Sohn will diese Auslöschung, diese Gedächtnisauslöschung rückgängig machen. Also gräbt er die Geschichte wieder aus. Dabei merkt er, dass er kein Einzelschicksal vor sich hat, sondern sich im Leben des Vaters die letzten Jahrzehnte spiegeln. Im Sediment der Erzählung stößt er auf einen seltsamen Zusammenhang: Je freier die Märkte, umso größer die Zwänge seines Vaters - der Zwang, einer schlecht bezahlten Arbeit nachzugehen; der Zwang, im Alter in Armut zu leben; der Zwang, immer und immer wieder seine Wohnung zu räumen. Die Turbulenzen im Leben des Vaters weisen seltsame Zusammenhänge mit dem Aufstieg des Neoliberalismus auf. Liegen hier auch die Gründe für die Schwierigkeiten der Vater-Sohn-Beziehung?
Das Hörspiel wurde von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt am Main zum Hörspiel des Monats Februar 2022 gekürt.
Begründung der Jury:
„Ich verfluche diesen Text. Ich verfluche die Unübersichtlichkeit der Gegenwart.“ Dieses Bekenntnis des Erzählers gegen Ende des Hörspiels „Satellitenbilder Deiner Kindheit“ von Leon Engler irritiert auf besondere Weise. Es unterbricht jäh den hypnotischen Sog, mit dem dieser dichte, poetische und präzise beobachtete Text die Hörenden vom ersten Moment an bannt und in die berührende Erzählung dieses Originalhörspiels hineinzieht. Sprecher und Musik unterstützen die melancholisch-hypnotische Kraft des herausragenden Textes. Dabei handelt es sich weniger um eine Geschichte im klassischen Sinne als vielmehr um den Bericht eines jungen Schriftstellers, der damit ringt, der Geschichte seines gestrauchelten Vaters und damit zugleich seiner eigenen Geschichte Herr zu werden. Dieses konkrete Vater-Sohn-Verhältnis wird über das individuelle Schicksal der beiden einerseits durch Bezug auf Franz Kafkas „Brief an den Vater“, auf Kronos, Odysseus, König Laios und Darth Vader herausgehoben. Andererseits sind in den Text Zitate der Ideologinnen und Ideologen des Neoliberalismus verwoben, vor deren Hintergrund nicht nur das vermeintliche Scheitern des Vaters und die tiefgehende Erschöpfung des Sohnes die angemessene strukturelle Dimension bekommen, sondern auch eindringlich die Frage nach sozialer Gerechtigkeit und die Zukunft der Menschen gestellt wird. Was wir beim Hören bezeugen, ist das mutige Ringen eines jungen Schriftstellers darum, die Balance zu finden zwischen Konkretem und Abstraktem, zwischen Gefühlen und Weltpolitik. Die große literarische Qualität des Textes und der Mut sich künstlerisch den schwierigen Fragen unserer komplexen, unübersichtlichen Gegenwart zu stellen, macht Leon Englers „Satellitenbilder Deiner Kindheit“ für uns zum Hörspiel des Monats Februar 2022.
Begründung der Jury:
„Ich verfluche diesen Text. Ich verfluche die Unübersichtlichkeit der Gegenwart.“ Dieses Bekenntnis des Erzählers gegen Ende des Hörspiels „Satellitenbilder Deiner Kindheit“ von Leon Engler irritiert auf besondere Weise. Es unterbricht jäh den hypnotischen Sog, mit dem dieser dichte, poetische und präzise beobachtete Text die Hörenden vom ersten Moment an bannt und in die berührende Erzählung dieses Originalhörspiels hineinzieht. Sprecher und Musik unterstützen die melancholisch-hypnotische Kraft des herausragenden Textes. Dabei handelt es sich weniger um eine Geschichte im klassischen Sinne als vielmehr um den Bericht eines jungen Schriftstellers, der damit ringt, der Geschichte seines gestrauchelten Vaters und damit zugleich seiner eigenen Geschichte Herr zu werden. Dieses konkrete Vater-Sohn-Verhältnis wird über das individuelle Schicksal der beiden einerseits durch Bezug auf Franz Kafkas „Brief an den Vater“, auf Kronos, Odysseus, König Laios und Darth Vader herausgehoben. Andererseits sind in den Text Zitate der Ideologinnen und Ideologen des Neoliberalismus verwoben, vor deren Hintergrund nicht nur das vermeintliche Scheitern des Vaters und die tiefgehende Erschöpfung des Sohnes die angemessene strukturelle Dimension bekommen, sondern auch eindringlich die Frage nach sozialer Gerechtigkeit und die Zukunft der Menschen gestellt wird. Was wir beim Hören bezeugen, ist das mutige Ringen eines jungen Schriftstellers darum, die Balance zu finden zwischen Konkretem und Abstraktem, zwischen Gefühlen und Weltpolitik. Die große literarische Qualität des Textes und der Mut sich künstlerisch den schwierigen Fragen unserer komplexen, unübersichtlichen Gegenwart zu stellen, macht Leon Englers „Satellitenbilder Deiner Kindheit“ für uns zum Hörspiel des Monats Februar 2022.