Musikalische Medizin
43:50 Minuten
Die Konzerte der Band Heilung sind spektakulär: Auf der Bühne tummeln sich bemalte Krieger mit Speer und Schild, die Musiker schmücken sich mit Helmen oder tragen Geweihe. Tierschädel dienen als Mikrofonständer. Ist das mehr als bloßer Bühnenzauber? Auf der Suche nach der heilenden Kraft der Musik.
Es ist ein grauer Tag. Kai-Uwe Faust hat zu einem Spaziergang eingeladen. Er durchstreift gerne das Naturschutzgebiet in der Nähe von Kopenhagen, das gleichzeitig auch ein Hirschpark und ein Gräberfeld aus der Bronzezeit ist. Denn hier fühlt er sich der Natur verbunden, bewundert die Maserung einer alten Eiche, die vom Blitz gespalten wurde, und macht sich Gedanken darüber, was Menschen früherer Kulturen wohl so getrieben haben.
Faust ist im Siegerland aufgewachsen, einer geschichtsträchtigen Gegend: "Ich habe zuletzt in einem latènezeitlichen Grubengebiet gewohnt und wenn der Fluss dann im Frühling die Biegungen ausgewaschen hat, konnte man Brandschichten sehen, wo die Leute Eisen gekocht haben."
Das Interesse für archaische Kulturen wie die der Menschen der Eisenzeit oder die Wikinger teilt er mit seinen beiden Bandkollegen Maria Franz und Christopher Juul. Kein Wunder also, dass die drei sich bei Wikinger-Reenactments kennengelernt haben. 2014 starteten sie schließlich ihr gemeinsames Bandprojekt "Heilung".
Mehr als eine Band
Maria Franz bildet auf der Bühne das Zentrum der Band. Sie singt und schlägt eine Rahmentrommel, wie sie auch in schamanischen Ritualen verwendet wird. Christopher Juul ist das musikalische und tontechnische Mastermind der Band. Kai-Uwe Faust steuert sein Wissen um nordische Sprachen und Mystik sowie seine schamanischen Kenntnisse und seine wandelbare Stimme zum Projekt bei.
Auf der Bühne werden die drei Bandmitglieder von weiteren Musikern unterstützt. Aber auch martialisch bemalte Krieger, die mit Schild und Lanze auftreten, gehören zum Konzept dazu. Alle drei tragen ausgefeilte Kostüme, die sie aus teils historisch belegten Kleidungsstücken zusammengesetzt haben. Maria Franz beschreibt ihr Kostüm so:
"Die Ärmel sind mit Fransen aus Pferdehaar besetzt, das ich von Geigenbögen gesammelt habe. Ich wollte Musik ins Kleid weben. Dann Tonperlen, die ich für meinen ersten Wikingermarkt gemacht habe, da war ich elf. Es war mir sehr wichtig, dass das Kleid Teile meiner Persönlichkeit trägt."
Jedes Konzert ist ein Spektakel
Ihre Musik wird dem Genre "Pagan Folk" zugerechnet. Doch die Musiker von "Heilung" haben eine eigene Bezeichnung für ihre Kunst gefunden: "Amplified History", verstärkte Geschichte nennen sie das. Damit ist die elektronisch verstärkte, perfekt produzierte Musik gemeint. Aber auch die Verdichtung historischer, schamanischer und fantastischer Elemente auf der Bühne. Dabei geht es den Bandmitgliedern nicht um historische Detailtreue, sondern um eine individuell geprägte Fusion von diversen Sprachen, Musikstilen und Traditionen.
Es ist eine künstlerische Annäherung an eine Zeit, von der nicht allzu viel schriftlich überliefert ist. "Wir brauchen mehr Input und wir brauchen diesen Input in einer kurzen Zeit", sagt Kai-Uwe Faust.
"Eine richtige schamanische Zeremonie oder Zeremonien in animistischen Kulturen, die dauern mehrere Tage bis zu Wochen. Wir haben 72 Minuten, und selbst um diese 72 Minuten müssen wir noch kämpfen, weil wir länger gebraucht haben für den Soundcheck oder weil die Band vor uns länger gespielt hat."
In dieser Zeit soll das Publikum mitgenommen werden auf eine historische Reise mit all ihren martialischen Abgründen – eine Konfrontation mit der dunklen Geschichte der Menschheit zu einem heilenden Effekt. "Das muss dann gar nichts mit Geistern zu tun haben", erklärt Faust lachend. Er hofft, dass seine Musik Menschen dabei hilft, zu sich zu finden und ihre Wünsche im Leben umzusetzen. Er warnt aber auch: "Es hilft nichts, sich zehn Mal ‚Heilung‘ anzuhören und dann zu erwarten, dass du geheilt wirst."
Bilder aus dem Inneren
Rainer Ternieden, Kenner der skandinavischen Sprachen und Mythen und selbst praktizierender Schamane, hält dagegen nichts von der Betonung der aggressiven, mordlustigen Seite alter Kulturen. Er möchte mit schamanischen Ritualen positive Gefühle auslösen.
Im Gespräch beschreibt er die Funktion der Trommel und der Rassel im Schamanismus. Er erklärt: "Der Trommelschlag versetzt einen in eine Art Trance, einen veränderten Bewusstseinszustand. Und das führt wiederum zu Bildern aus dem eigenen Inneren, vergleichbar den Bildern in den Träumen. Das ist dann das, was man eine Reise nennt."