Die wachsende Liebe zu Sexpuppen
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Sie haben weiche Haut, leuchtend blaue Augen und stöhnen auf Chinesisch: Sexpuppen sind mittlerweile aufwendig hergestellte, lebensechte und sogar interaktive Produkte. Das Geschäft mit ihnen floriert, aber Liebe und Sex mit diesen Figuren bleiben weiterhin ein gesellschaftliches Tabu.
Um das Puppen-Bordell in Dortmund zu betreten, muss man einmal um das lang gestreckte Haus herumgehen, an dem kein Hinweis auf die hier angebotenen Dienstleitungen zu finden ist. Durch den Hintereingang geht es rein und einen Flur entlang, auf dem sich Zimmer an Zimmer reiht. Hier treffen wir Evelyn Schwarz. Die Besitzerin des Bordells hatte vor einigen Jahren die Idee, nicht nur Dienstleistungen echter Frauen anzubieten, sondern auch Puppen mit ins Boot zu holen. In Asien gibt es dieses Phänomen schon lange, in Deutschland war sie eine der ersten, die sich auf dieses Experiment eingelassen hat.
Auf einem ausladenden Doppelbett, liegt die Sexpuppe Marcella, sie hat eine dunkle Hautfarbe und ist eine der beliebtesten Puppen, wie Evelyn Schwarz erzählt. Als unser Reporter die Puppe tragen soll, kommt er ganz schön ins Schwitzen: Mit einem Gewicht von über 35 Kilogramm ist sie zwar leichter als eine echte Frau, aber immer noch ganz schön schwer. Marcella besitzt als einzige der Puppen im Bordell ein Touch-Voice-System. Wenn es eingeschaltet ist, stöhnt Marcella bei Geschlechtsverkehr oder Kneten der Brüste, allerdings bisher auf Chinesisch, was etwas skurril wirkt. Im Reich der Mitte boomt das Geschäft mit den Liebespuppen am stärksten, von dort lassen sich die ersten erschwinglichen Puppen mit interaktiven Elementen beziehen.
Sexpuppen erfordern Fantasie
Nicht alle Gäste kommen nach dem Austesten von Marcella oder einer der etwa ein Dutzend anderen Puppen im Dortmunder Bordell wieder, sagt Evelyn Schwarz. Es sind nur etwa 60 Prozent der Gäste, die Gefallen am Sex mit Puppen finden und nach ihrer Aussage ausschließlich jene, die fähig sind, ihre Fantasie bei der Interaktion mit den Sexpuppen spielen zu lassen.
"Und natürlich haben wir auch viele Ehemänner, die sagen: ‚Ich will meine Frau nicht betrügen. Das ist nur ein großes Sexspielzeug. Da brauche ich kein schlechtes Gewissen zu haben, und da geht auch keine Gefahr von aus.‘‘
Ihr Bordell und SM-Studio gibt es seit 2014. Als sie 2017 eine neue Einnahmequelle finden musste, da sie keine Sexarbeiterinnen mehr rekrutieren konnte, erinnerte sie sich an eine Reportage über Puppen-Bordelle in Japan. Sie schaffte sich zwei Sexpuppen als Testpiloten an. "Die waren halt sehr schnell ausgebucht." Seitdem werden im Dortmunder Bordell sowohl die Dienste von Prostituierten als auch die von Sexpuppen angeboten.
Erstaunlich lebensecht
Obwohl der Fetisch um lebensecht gestaltete Frauenfiguren alt ist – schon Pygmalion aus Ovids "Metamorphosen" ließ sich eine elfenbeinerne Frau anfertigen – und das Geschäft mit den Puppen floriert, sind Liebe, Sex und Zärtlichkeiten mit ihnen immer noch ein Tabu in unserer Gesellschaft. Deshalb ist auch ein Gespräch mit Kunden, die Sexpuppen im Bordell buchen, nicht möglich. Aber die neuesten Trends bei den Puppen verraten auch so etwas über unsere Gesellschaft: Die Gummipuppe alter Tage zum Aufblasen hat weitgehend ausgedient, die sogenannten "Real dolls" aus Silikon oder TPE sind heute angesagt, auch im Dortmunder Puppenbordell. Sie ähneln Schaufensterpuppen, sind erstaunlich lebensecht gestaltet und beinhalten oft auch interaktive Elemente wie die Fähigkeit, Körperbewegungen und Sprache nachzuahmen.
Die meisten Kunden, die wegen der Sexpuppen kommen, bleiben etwa eine Stunde mit ihnen allein, das liegt dann bei 80 Euro. Im Flur treffen wir anschließend auf die einzige männliche Sexpuppe im Bordell namens Herr Diego. Bei den weiblichen "Real dolls" kann man auf dem freien Markt aus 2.000 verschiedenen Modellen auswählen, bei den männlichen derzeit nur aus etwa 50, erklärt die Geschäftsführerin.
Ortswechsel: In der Puppenfirma im Harz ist schon im Eingangsbereich eine Sexpuppe ausgestellt. Geschäftsführer Manfred Scholand nennt seine Puppen allerdings nicht Sex- sondern Liebespuppen. Die Puppe steht mithilfe eines Gestells aufrecht da, hält ihre Hände ausdrucksstark nach vorne, ist weiblich, geschminkt, die Augen sind grün leuchtend. Ich berühre die Puppe und frage mich sogleich, wie man diese lebensecht wirkende Haut herstellt. Sie besteht aus TPE, erklärt Scholand, ; seit 2014 wird dieser Stoff, der schon länger im medizinischen Bereich bei Implantaten Verwendung findet, auch für lebensechte Liebespuppen eingesetzt. TPE sind weicher als Silikon, lassen sich einfacher verarbeiten und haben die Liebespuppen so auch preiswerter gemacht. Trotzdem kosten die Puppen, die Scholand vertreibt, immer noch zwischen 1.000 und 1.700 Euro.
Made in China in 150 Arbeitsstunden
Auch wenn die Sexpuppen neuester Generation optisch und mechanisch beeindrucken – sie können dank eines beweglichen Stahlskeletts alle gewünschten Körperhaltungen einnehmen und lassen sich, was Haare und Augenfarbe angeht, jederzeit verändern. Manfred Scholand ist sichtlich stolz auf sein Unternehmen und verneint die Frage, ob seine Firma in der Kleinstadt im Harz belächelt werde: "Letztendlich kann man mit diesen Produkten handeln wie jemand, der mit Autoradios handelt oder mit anderen Produkten." Aber er räumt ein, dass sich die lebensechten Liebespuppen und generell Erotikprodukte für den Mann noch nicht so etabliert hätten wie beispielsweise solche für Frauen.
Wir gehen in den Ausstellungsraum der Firma, der sich im Untergeschoss des Hauses befindet. Puppenkörper ohne Köpfe baumeln da an Stahlhaken, bewegen sich wie von Geisterhand leicht hin und her. Ein seltsamer Anblick, aber der beste Weg, die Puppen zu lagern, sagt Manfred Scholand. Fertigen lässt er sie in China, seine Firma liefert die 3-D-Modelle dafür. In einer lebensechten Liebespuppe stecken mindestens 150 Arbeitsstunden, das lasse sich in Deutschland nicht bezahlen.
Und wo befinden sich hier die Sexpuppen der Zukunft? Interaktive Puppen, KI-Puppen, Sexroboter werden sie auch genannt. Sie können Sprache erkennen, mit uns kommunizieren, mit den Augenlidern wackeln und mit den Lippen Bewegungen erzeugen. Manfred Scholand erlebt, dass diese Modelle gar nicht so stark nachgefragt werden. Er verweist darauf, wie schwierig es sei, Lippenbewegungen und andere "menschliche Features" nachzubauen. Und er hat eine Botschaft, was seine Produkte und den mit ihnen verbundenen, manchmal allzu euphorisch geführten Diskurs über Mensch-Maschine-Interaktionen der Zukunft betrifft: "Lebensechte Liebespuppen werden keinen Menschen und auch keine sozialen Beziehungen ersetzen."
Die Puppen baden, pflegen, pudern
Die sehr öffentlichkeitsscheuen Besitzer von Sexpuppen hat die Fotografin Julia Steinigeweg im Rahmen ihrer Arbeit "Ein verwirrendes Potenzial" getroffen. Im Gespräch erzählt sie, dass sich dabei kaum eines der gängigen Vorurteile gegenüber diesen Menschen bestätigt habe. Das Zusammenleben mit einer solchen Puppe müsse man sich zunächst ganz anders vorstellen als das mit einem handlichen Sexspielzeug wie einem Vibrator: "Das ist erst mal sehr aufwändig. Man muss die Puppe pflegen, man muss sie baden, man muss sie einpudern, durch die Gegend bewegen."
Sie spricht sich dafür aus, die Puppenbesitzer nicht als weltfremde Freaks zu betrachten, sondern als empfindsame, eher verschlossene Menschen, die es aus irgendwelchen Gründen verpasst haben, die Beziehung zu ihrer Liebespuppe einmal wieder gegen die zu realen Menschen einzutauschen. Die Sexroboter der Zukunft sieht sie kritisch, weil diese vom Reichtum menschlicher Beziehungen ablenken würden: "Ich glaube, dass es schlau ist, dem gar nicht so viel Beachtung zu schenken und gar nicht so viel in diese Entwicklung zu investieren."