Theatergruppe im Gefängnis

Flucht in eine andere Rolle

43:47 Minuten
Mann in der Zelle einer Justizvollzugsanstalt (JVA)
Mann in der Zelle einer Justizvollzugsanstalt © dpa/Bernd Thissen
Von Marius Elfering |
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„Der Gefangene“, so heißt das Stück, das Häftlinge und eine Frau aus der Zivilgesellschaft in der JVA Schwerte aufgeführt haben. Welche Hürden müssen sie überwinden, um die Inszenierung auf die Beine zu stellen – und kann Theater helfen, sich mit dem eigenen Schicksal auseinanderzusetzen?
Wenn die Häftlinge der JVA Schwerte ihre Zellen verlassen, die langen Gänge im Gefängnis entlanggehen und dann den Probenraum betreten, beginnt für sie jedes Mal auch eine kurze Zeit der Freiheit.
Seit über 15 Jahren probt der evangelische Pfarrer Dirk Harms Jahr für Jahr ein Theaterstück mit einer Gruppe von Gefangenen ein, um es dann vor Publikum aufzuführen. Das Projekt heißt "theaterlabor Schwerte", das aktuelle Stück "Der Gefangene". Es geht um Schuld und Strafe, um Reue und Sühne. In dem Stück von Peter Brook muss Mavuso, der seinen Vater getötet hat, zur Strafe vor einem Gefängnis ausharren, statt in dem Gefängnis selbst eingesperrt zu sein. Über Jahre blickt er auf die Haftanstalt und beschäftigt sich so fortwährend mit seiner Tat.
Sascha hat sich durch das Theaterspielen verändert
Sascha spielt seit 2013 im Theaterensemble mit. Seine Haft trat er 2007 an, nachdem er für verschiedene Einbrüche und Betrugsfälle verurteilt wurde. Ihm gebe das Theater die Möglichkeit, sich mit seiner eigenen Schuld auseinanderzusetzen, meint er.
Theatererfahrung hatte er vorher keine. Zu Beginn seiner Haftzeit, erinnert er sich, habe er nichts vom Theaterspielen und dem "Rumrennen und Rumhopsen" gehalten.
Über einen Freund hat er dann aber doch in die Gruppe gefunden. Er sieht in der Theaterarbeit die Chance auf eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft.
"Resozialisierung muss natürlich auch bei jedem selbst stattfinden", meint der 39-jährige. "Für mich hat das einen pädagogischen Effekt gehabt", meint er und fügt hinzu, dass er nun viel besser aus sich selbst herauskommen könne.
Die Begegnung kann Vorurteile abbauen
Vollzugsbeamte sind bei den Proben nicht anwesend, die schweren Türen sind aber während der gesamten Zeit abgeschlossen. Einzig Dirk Harms passt auf, dass alles glatt läuft und sich das Stück gut entwickelt.
Die Proben und Vorstellungen finden in einer kargen Halle statt. Ein paar Tische und Stühle stehen herum. In der Mitte des Raumes steht eine kleine Bühne. Bespielt wird der ganze Raum, die Zuschauer sitzen um die Schauspieler und eine Schauspielerin, die aber keine Gefangene ist, herum.
Am Tag der Vorstellung sind die Gefangenen aufgeregt. Etwa 80 Zuschauer kommen, um sich das Stück anzusehen. Das Gefängnis rückt für etwa eine Stunde in den Hintergrund. Es geht nur um die Schauspieler und das Geschehen auf der Bühne. Darum, was eine gerechte Strafe ist und wie wir mit Menschen, die Straftaten begangenen haben, umgehen sollten.
An diesem Tag läuft alles glatt. Die Schauspieler sind glücklich, die Zuschauer spenden langen Applaus. Am Ende bleibt das Gefühl, dass die Begegnung zwischen den Zuschauern und den Gefangenen auch Vorurteile abbauen kann.
Wunsch nach härteren Strafen findet mehr Zuspruch
Dass Resozialisierung in den meisten Fällen nicht reibungslos funktioniert, das weiß die Historikerin Annelie Ramsbrock. Sie beschäftigt sich mit der Geschichte des deutschen Strafvollzugs und damit, wie wirkungsvoll er ist. Zwar seien Kulturprojekte wie das "theaterlabor" in Schwerte sinnvoll, weil sie den Gefangenen eine Ablenkung bieten und ihr Selbstwertgefühl stärken. Allein durch solche Programme könne Resozialisierung aber nicht gewährleistet werden, meint sie.
Der Strafvollzug in Deutschland scheitere häufig daran, Häftlinge wieder in die Gesellschaft einzugliedern. "Menschen, die lange in Haft sind, funktionieren wunderbar in dieser geschlossenen Gesellschaft", meint sie. "Sie werden aber völlig funktionsunfähig gemacht für die Gesellschaft draußen."
Der Resozialisierungsgedanke sei vor allen Dingen in den 1960er-Jahren erarbeitet worden. Doch mittlerweile stehe die Gesellschaft diesem Gedanken nicht mehr so liberal gegenüber. Der Wunsch nach härteren Strafen, den Annelie Ramsbrock "populistisch" nennt, finde in immer größeren Teilen der Bevölkerung Zuspruch.
Und auch das Geld für gute Resozialisierungsprogramme fehle häufig. Dabei seien es gerade Maßnahmen wie Theatergruppen und Zeichenkurse, welche den Gefangenen zumindest für eine kurze Zeit das Gefühl geben könnten, eine andere Rolle zu spielen als nur die des Verbrechers.
Erstsendung 13.12.2019
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