Sterben auf Probe
43:59 Minuten
Wie ist es, der eigenen Trauerfeier beizuwohnen und sich betrauern zu lassen, solange man noch lebt? Ändert es die Perspektive aufs Leben? Mikrokosmos-Reporter Florian Fricke hat es im Rahmen der Performance „Sterben in Oberhausen“ ausprobiert.
Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Tod ist wahrscheinlich so alt wie die Kunst selbst. Höhlenmalereien, sakrale Kunst, barocke Stillleben - sie alle versuchen unsere Endlichkeit zu ergründen, sie abzubilden und etwas zu schaffen, was über den Tod hinausreicht.
Schlingensief - intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben
In der zeitgenössischen Kunst war es der Performancekünstler Christoph Schlingensief, der sich intensiv mit seiner Krebserkrankung und dem nahenden Sterben auseinandersetzte. Zum Gedenken an seinen 10. Todestag und seinen 60. Geburtstag, den er am 24. Oktober 2020 gefeiert hätte, veranstaltete das Theater Oberhausen ein mehrtägiges "Spektakel", wie es auf der Homepage heißt. Teil dieses Projekts war auch die Performance "Sterben in Oberhausen" von Kaufmann/Witt.
Angehörige sind die Leidtragenden
Die Idee: Die eigene Sterblichkeit mit einer Trauerfeier zu Lebzeiten zelebrieren. Man muss sich nur entscheiden, will ich Trauergast sein oder mich selbst als "zukünftigen Verstorbenen" betrauern lassen? Mikrokosmos-Reporter Florian Fricke ist zunächst als Gast bei der Trauerfeier für den Theaterkritiker Sascha mit dabei. In beigefarbenen Gewändern üben die acht Trauergäste das Wehklagen bevor sie auf einem Podest auf der Bühne des Theater Oberhausen Platz nehmen. Das Bühnendesign erinnert an einen Science-Fiction-Film aus den 70ern: Eine Drehbühne, Palmen, eine gebogene Bank und ein Altar. Ein Schauspieler mimt den Priester und hält die Grabrede auf Sascha: "Er wird nie wieder ein Geheimnis haben und wenn, wird niemand wissen, dass es eines gibt. Wir trauern um Sascha", trägt er in monotonem Singsang vor und fällt dann in schauerlich verzerrtes Wehklagen.
Nach rund 40 Minuten ist die Trauerfeier vorbei. Die Nachbesprechung findet in der "Trockenaue", wie die Bar im Kellergeschoss des Theaters genannt wird, statt. Sascha erzählt, dass er erst Freunde einladen wollte, aber dann merkte, dass das gar keine so gute Idee ist: "Der Verstorbene, also ich in diesem Fall, ist immer noch in einer besseren Position als die, die zurückbleiben. Insofern ist es vielleicht das Beste, wenn man schon seinen Tod im Leben feiert, ihn mit Fremden zu feiern." Auch Sarah aus Essen hat sich betrauern lassen, weil sie den Tod enttabuisieren möchte. Schließlich müssten sich alle früher oder später darum kümmern, da sollte man seine Hinterlassenschaften lieber gleich regeln, bevor es zu spät ist. So entlaste man auch die Familie und Freunde, meint sie.
20 Trauerreden in zwei Wochen
Dann ist unser Autor an der Reihe: Das Trauerbüro befindet sich in einem Pavillon in der Fußgängerzone von Oberhausen, direkt vor der Herz-Jesu-Kirche, wo Christoph Schlingensief Ministrant war. Hier findet das erste Gespräch zur geplanten Trauerfeier statt. Die Schauspielerin Luisa befragt unseren Autor einfühlsam zu seinem Leben mit allen Höhen und Tiefen. Aus diesen Informationen verfasst anschließend ein Schriftsteller die Trauerrede, insgesamt über 20 Reden muss er im Laufe von zwei Wochen schreiben.
Internationale Trauerriten als Inspiration
Wie kamen Saskia Kaufmann und Raban Witt eigentlich auf die Idee zur Inszenierung? Angeregt wurden sie durch Trauerfälle im eigenen Umfeld und den Wunsch, die Sterblichkeit anders zu zelebrieren. Zur Vorbereitung recherchierten sie Trauerrituale aus der ganzen Welt. Fasziniert waren sie von professionellen Trauergästen, "Traueranimateuren", in Griechenland, China und Taiwan, die den Gästen die Trauerarbeit erleichtern sollen: "Das sind Leute, die eine bestimmte Technik haben und die Katharsis erstmal für einen machen, es einem aber auch ermöglichen, sich davon anstecken so lassen. Das ist eine Kulturtechnik, die ich sehr gut nachvollziehen kann", erklärt Regisseur Raban Witt.
Zur Vorbereitung holt Schauspielerin Amanda den Reporter an der Pforte ab und führt ihn in eine Garderobe. Dort zieht er sich um, wieder in ein wallendes Gewand. Es folgt eine rituelle Waschung, der Duft von Lavendelöl liegt in der Luft. Amanda bittet ihn auf einer Liege zu entspannen, sie gibt Anweisungen zur Meditation. Dann fragt sie, ob er sein selbstgewähltes Opfer, eine Packung Tabak, mitgebracht hat. Es soll später an einem geheimen Ort in Oberhausen vergraben werden.
Eine Trauerfeier als Feier des Lebens
Die ersten Minuten der Trauerfeier erleben Amanda und Florian aus der Vogelperspektive auf dem Schnürboden des Theaters, die Trauerrede wird bereits gehalten. Dann geht es auf die Bühne, wo Florian vor dem Altar Platz nimmt, vor ihm der Chor und Amanda, die nicht aufhört zu schluchzen. Immer lauter werden Musik und Gesänge, das Wehklagen wirkt intensiv, aber auch skurril. Über allem liegt der Rhythmus eines pochenden Herzen, der erst zum Ende der Trauerfeier verstummt.
Den Höhepunkt der Feier bildet ein Statement einer Freundin des Autors. Er kennt es selbst noch nicht. Dann verlässt die gesamte Trauergemeinde die Bühne, nur der Betrauerte bleibt zurück und soll sich mehrere Minuten lang den eigenen Tod vorstellen. Er macht das mit einem Lächeln im Gesicht: Es ist gar nicht verkehrt, lebend betrauert zu werden, findet er. Denn wir feiern auf einer Trauerfeier auch immer das Leben.