Über das allmähliche Verschwinden aus dem Leben

Vor dem Verschwinden. Zu keiner Stunde

Nahaufnahme von Blütenknospen.
Die kleinen Hörstücke sind Konzentrate von Aichingers Weltbild: an der Schwelle, buchstäblich "zu keiner Stunde". © Eyeem / Sudip Jotshi
Von Ilse Aichinger |
• Hörspiel-Miniaturen • Aichingers kurze Szenen finden statt im „Dazwischen“, wo es gilt, sich zu entscheiden: für den Tod oder für Leben, für das Ewige oder die Veränderung, für ein Leben im Heute oder in der Vergangenheit.
Das Aufbäumen gegen das scheinbar Feststehende bildet von Anfang an den Kern von Ilse Aichingers Dichtung. So sind die kleinen Hörstücke, die in den Jahren 1952–1956 entstanden, Konzentrate ihres Weltbildes: die Erfahrung des Todes als Ausgangspunkt, das Leben für sich und andere neu zu entdecken. Die Szenen des Hörspiels begeben sich „an die Schwelle“ vor einer Botschaft, an einer Pforte, zwischen zwei Prüfungen, in Erwartung, kurz vor dem Tod – buchstäblich „zu keiner Stunde“.
„Hier, in dem milden Licht, nicht weit von den Pflanzenhäusern, wohnte die Alte, die Anfang und Ende voraussah. ... Die Störche flogen schon weg, und der Wetterhahn bog sich. Es war kurz vor dem Winter.“

Die Dinge des Lebens
Ein Sommer mit Hörspielen und Dokus
Woche 12: Abschied

Vor dem Verschwinden. Zu keiner Stunde
Von Ilse Aichinger
Regie: Christine Nagel
Mit: Ilse Aichinger, Hildegard Schmahl, Irm Hermann, Otto Sander, Liv-Juliane Barine, Tilmar Kuhn, Anja Bilabel und Iwona Mickiewicz
Komposition: Gerd Bessler
Ton und Technik: Andreas Narr, Ingeborg Kiepert und Jutta Stein
Produktion: Deutschlandfunk 2001
Länge: 43'30

llse Aichinger (1921–2016 in Wien) gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Nachkriegsautor:innen. Sie war Mitglied der Gruppe 47. 1948 veröffentlichte sie ihren Roman über die Kriegszeit in Wien, „Die größere Hoffnung“, und ihre ersten berühmten Geschichten. Es folgten Gedichte, Hörspiele und Prosastücke. Für ihre Werke, die in viele Sprachen übersetzt wurden, erhielt sie zahlreiche literarische Auszeichnungen, darunter 1952 den Preis der Gruppe 47, 1982 den Petrarca-Preis, 1983 den Franz-Kafka-Preis, 1995 den Österreichischen Staatspreis für Literatur und 2015 den Großen Kunstpreis des Landes Salzburg.

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