Hörspiel über Selbstanspruch und Anforderung

Wes Alltag Antwort gäb

Kunststoff-Giraffenkopf spiegelt sich in Fensterscheibe.
© Gesche Piening
Von Gesche Piening |
• Monolog • Die Manipulation der eigenen Geschichte gehört zum Alltag: Damit Mensch Mensch sein kann, muss er etwas darstellen – vor sich selbst und vor anderen. Und das gilt keineswegs erst seit dem Aufkommen der sozialen Medien.
Das Psychogramm eines Protagonisten, der – auf- und abgeklärt, reflektiert und impulsiv zugleich – akribisch an der Ausgestaltung seines Selbst arbeitet. Er umkreist seine Alltagswelt, immer auf der Suche nach Bestätigung und in ständiger Furcht vor vernichtender Bewertung. Denn nichts kann das virtuose Ich mehr gefährden als der kritische Blick von außen, der zielsicher alles infrage stellt, was vorher mühevoll und passgenau im Zentrum des eigenen Lebens platziert wurde. Das Hörspiel erzählt von den ins Unermessliche steigenden Erwartungen und Anforderungen an uns selbst, an ein erfülltes Dasein als schillerndes, aktives und bestenfalls umjubeltes Ich – und der daraus resultierenden Überreizung.

Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt am Main hat das Hörspiel "Wes Alltag Antwort gäb" zum Hörspiel des Monats Januar 2023 gekürt.

Begründung der Jury:
“Wes Alltag Antwort gäb” bietet als Sendung Zugang zu einem monologischen Gesellschaftsporträt, das eindrücklich und aufwühlend seine Zuhörer bannt. Sie bespricht die Anforderung an das Ich, das im besten Falle stets glänzend und aktiv sein sollte. Der bekannte Drang, sich selbst zu inszenieren und die eigene Geschichte anzupassen, wird von dem nicht unbedingt präsenten Ich des Hörspiels getragen. Fast beklemmend drängt es den Hörenden selbst zu reflektieren und erinnert an den kritischen Blick, den die Gesellschaft auf einen hat, zu denken und das eigene Leben zu hinterfragen.
Unbehaglich und erschreckend zugänglich, trotz hoch akademisierter Sprache sticht “Wes Alltag Antwort gäb” im Januar für die Jury heraus. Zwei Stellen stechen besonders hervor, die man sich eigentlich markieren und verwahren mag:

Ich möchte als Person vorstellbar sein. Vielleicht nicht nachvollziehbar in jedem Punkt, das ist nicht wichtig. Aber vorstellbar. Ich möchte so sein, dass man sich die Mühe macht, sich mich vorzustellen. Am liebsten detailreich natürlich. Es wäre schön, wenn das Interesse lange hielte, bis in die feinsten Verästelungen führte.

Was möchte ich?! Ich möchte mein Gegenüber verstehen, um einen Vorteil daraus zu ziehen. Wenn ich den Vorteil nicht sehe, breche ich die Kommunikation ab. Manchmal abrupt. Das findet nicht jeder toll, ist auch nicht höflich. Ich höre oft, ich wirke aggressiv und das nervt mich ehrlich gesagt. Aber das ist bloße Formkritik. Das ist keine fachliche Kategorie, die mich vorwärts bringt – somit ist sie vernachlässigbar. Da sind auch viele Empfindlichkeiten dabei. Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Die Zeit habe ich nicht.

Besonders lobend hervorzuheben sind die musikalischen Untermalungen, die oft im Crescendo enden und den Hörer unabdingbar ans Weiterhören binden.
Der lethargische Unterton des Sprechers lässt die reinen Worte in den Vordergrund rücken.

Hörspiel des Monats Januar 2023
Ursendung
Wes Alltag Antwort gäb
Von Gesche Piening
Komposition: Michael Emanuel Bauer
Regie: Gesche Piening
Mit: Stephan Bissmeier, Sylvana Krappatsch
Produktion: Bayerischer Rundfunk / Deutschlandfunk Kultur 2023
Länge: 54'07

Gesche Piening, 1978 in Hamburg geboren, Schauspielerin, Regisseurin, Autorin und Dozentin. Ihre Theaterarbeiten sind bundesweit in diversen Theaterhäusern und auf Festivals zu sehen und überschreiten die Grenzen zwischen Theater, Literatur, Bildender Kunst und Hörfunk. Für ihre künstlerische Arbeit wurde sie 2016 mit dem Ödön-von-Horváth-Preis (Förderpreis) ausgezeichnet. Für den Hörfunk mehrere Radiofeatures und Hörspiele, 2021 Finalistin beim 70. Hörspielpreis der Kriegsblinden mit „Einsam stirbt öfter“ (BR 2020). Zuletzt: „Bin pleite ohne mich“ (BR/Deutschlandfunk Kultur 2021) und „Tod – was soll das?“ (Deutschlandfunk Kultur/BR 2022). Gesche Piening lebt in München.

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