Der Vorhang bleibt unten - the show must go on
43:50 Minuten
"The show must go on", heißt es im Theater - egal, was passiert. Doch in Libanons Hauptstadt ist das schwer vorstellbar: eine Wirtschaftskrise, die Folgen der Corona-Pandemie und einer Explosion prägen das Leben. Theaterschaffende in Beirut haben trotzdem Wege gefunden, wie es weitergehen kann.
Ghalia Saab steht in einem Kreis von Jugendlichen, alle etwa 14 Jahre alt, schüttelt sich und ruft: "Tomate!". Die Kinder, noch etwas müde, versuchen die Bewegung nachzumachen und wiederholen das Wort noch etwas zaghaft. "Lauter!" fordert Ghalia Saab sie auf und lacht.
In der kleinen libanesischen Stadt Barja, circa eine Autostunde von Beirut entfernt, bringt Saab mit einfachen Übungen Menschen zum Lachen. Denn das Leben im Libanon ist schwer dieser Tage: "Ich fühle mich taub, war wie ein Zombie, erzählt die 28-Jährige. Ich habe nichts gemacht oder die ganze Zeit nachgedacht, geweint und mich gefragt: Warum bin ich noch am Leben?"
Am 4. August explodierten in Beirut rund 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen, der nur durch eine Schnellstraße von Wohnvierteln getrennt ist. Auch die libanesische Kunst- und Kulturszene hat es schwer getroffen. Die Explosion hat viele Kultureinrichtungen und Theater zerstört; die Häuser und Wohnungen von Kulturschaffenden sind beschädigt. Der Stadt fehlen die Gelder für den Wiederaufbau, denn der libanesische Staat ist pleite.
Lachen als kleine Traumatherapie
In dieser bedrückenden Atmosphäre bringt Ghalia Saab Kinder und Jugendliche auf andere Gedanken. Sie schlüpft in die Rolle einer Clownin wie in eine zweite Persönlichkeit. Als "Solange" versprüht sie mit ihrer aufgeregt-euphorischen Art und den witzigen Geräuschen, die sie beim Reden wie beiläufig macht, viel Energie. Solange ist Teil der libanesischen Theatergruppe "Clown me in", die mit Workshops und Aufführungen benachteiligten Menschen Freude bereitet. "Anfangs waren wir besorgt, weil manche Szenen fröhlich sind", erinnert sich Saab. "Wir dachten: Vielleicht sollten wir keine Lieder spielen, weil die Eltern und Kinder keine Musik hören möchten, denn es gab ja viele Opfer bei der Explosion. Aber die Eltern haben gesagt: 'Nein, wir wollen tanzen, wir möchten wieder glücklich sein'."
Die Clowns bringen die Kinder mit ihren Übungen zum Prusten: Die Jungen und Mädchen sollen ihre Wörter wiederholen, Bewegungen nachahmen oder jeder noch so abstrusen Aussage zustimmen. Die witzigen Einlagen haben einen ernsten Hintergrund: "Clown me in" leistet psychosoziale Unterstützung und zwar nicht nur für die Kleinen, sondern auch fürs große Publikum.
"Im Stadtviertel Mar Mikhael, da war ein alter Mann, der eine Sonnenbrille trug. Und dann fragte er: 'Wisst ihr, was ihr mit mir gemacht habt?' Er nahm die Sonnenbrille ab und er weinte", erzählt Ghalia Saab von einer Aufführung. "Für diese kleinen Momente versuchen wir, weiterzumachen. Wir sagen: Wir machen die Show!"
Theater, das den Alltag reflektiert
Das sonst als Ausgehviertel bekannte Mar Mikhael wurde stark von der Explosion im Beiruter Hafen getroffen. Vor einem Haus, das nur durch ein Stahlgerüst zusammengehalten wird, steht eine Toilettenschüssel mit roter Farbe, die Blut darstellt. "Die Szenerie vermittelt das Gefühl der Leere und Zerstörung in uns allen", sagt der Regisseur Alain Saadeh. Er steht vor ein paar weißen Stühlen, die auf der Straße zwischen gelbem Absperrband aufgebaut wurden. Mitten auf der Straße inszeniert Saadeh das Stück "Jude". Im Mittelpunkt steht eine junge Frau, die auf einer öffentlichen Toilette mehrere Male vergewaltigt wird – und sich schlussendlich wehrt, indem sie ihren Peiniger erschießt. Man könne in dem Stück durchaus Parallelen zum Handeln des Staates Libanon ziehen, sagt Alain Saadeh: "Als Individuen und nach der Explosion, und auch als Gruppe, werden wir jeden Tag vom Staat misshandelt und verletzt."
Die Schauspielerin Dana Mikhael hofft, mit dem Stück den Menschen zu vermitteln, "dass wir etwas verändern könnten, wenn wir es wollen." Sie freut sich, dass sie durch die Inszenierung auf der Straße auch neues Publikum erreicht, zum Beispiel Menschen, die zufällig vorbeigekommen sind. "Ich weiß nicht, ob wir durch Theater etwas verändern könnten. Ich glaube, das ist gleichzeitig eine große Illusion und eine große Hoffnung", sagt Mikhael und fügt hinzu: "Für uns Theatermacher ist es etwas Lebenswichtiges. Wir können nicht einfach stumm bleiben."
Theater als Notwendigkeit
Auch für Sahar Assaf, Regisseurin und Dozentin für Theater an der Amerikanischen Universität in Beirut, ist Theater eine Notwendigkeit: "Theater ist ein Ort, an dem Gemeinschaft entstehen kann. An dem Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Zielen oder Interessen, auch mit verschiedenen Politikansichten oder Religionen zusammenkommen. Theater kann ein kollektives Bewusstsein schaffen."
Assaf gibt jedoch auch zu bedenken, dass Theater keine Wundermethode sei, um Traumata zu heilen. "Theater hat die Kraft, dir Distanz und Perspektive zu geben, um Ereignisse zu betrachten und dann zu beurteilen, was geschehen ist. Wir sollten aber nicht zu viel von Theater erwarten." Es könne keine Revolutionen herbeiführen, so Assaf weiter. "Aber Theater kann uns auf solch einen Wandel vorbereiten."